Thomas Manns Erzählung Unordnung und frühes Leid von 1925 reflektiert die Zeitläufte anhand der Familiengeschichte des Geschichtsprofessors Abel Cornelius, der als präziser Beobachter seiner Umgebung die Lebensgewohnheiten der nachfolgenden Generation seiner Kinder verständnisvoll, aber mit irritiertem Staunen beobachtet.
Die Erregung, die den knapp Fünfzigjährigen beim bevorstehenden Shimmy-Fest, das seine älteren Kinder Ingrid und Bert in den inflationären Zeiten von 1923 ihren Freunden in der etwas heruntergekommenen Vorstadtvilla geben, ergreift, ist Ausdruck seiner Unsicherheit gegenüber der Unordnung einer neuen Zeit, die auch eine für ihn bedrohliche Änderung der materiellen Umstände nach sich ziehen könnte.
Cornelius besondere Liebe gilt seiner jüngsten, fünfjährigen Tochter Lorchen, für ihn so etwas wie die Hoffnung auf einen unschuldigen Neuanfang. Obwohl als Kind zur Fete eigentlich noch nicht zugelassen, verliebt sich Lorchen beim Gänsehüpfen mit Heringssalat ausgerechnet in den Studenten Max Hergesell, der nur zum Scherz mit ihr getanzt hatte und nach dem sie, zu Bett geschickt, schluchzend verlangt. Eine ganz novelleske unerhörte Begebenheit: Nicht dem tröstenden Vater gelingt es, Lorchen zu beruhigen, sondern erst besagtem Studenten, nachdem er ihr eine gute Nacht gewünscht hat.
Der Professor erklärt Lorchens frühes Leid zu einer Episode, die es wohl für das Kind, nicht aber für sein eigenes Bewußtsein ist. Die bürgerliche Ordnung, in der seine Existenz gründet, ist weder materiell noch geistig gesichert. Cornelius erkennt, auch im Spiegel seines Lebensbereichs, die Tendenz der Gegenwart, ohne sie anzuerkennen.
Es ist bekannt, daß Thomas Mann in dieser Novelle seine eigene Familie porträtiert hat: Die beiden Halbwüchsigen, an Theater, Kabarett und Kellnerei in Kairo interessierten Gastgeber sind Klaus und Erika, in den Nachzüglern Lorchen und Beißer lassen sich unschwer Elisabeth und Michael erkennen.
Franz Seitz (Die Blechtrommel), Autor, Regisseur und Produzent der Thomas Mann-Verfilmung Unordnung und frühes Leid, läßt diese mit einem Vorspann aus dem Tonio Kröger-Film beginnen, den Seitz in den 50er Jahren ebenfalls produziert hatte, angereichert um historische Wochenschau-Aufnahmen aus den 20er Jahren von der französischen Besetzung des Ruhrgebiets, vom Aufstand in Thüringen und vom politischen Alltag der Weimarer Republik zwischen aufkommendem Faschismus und kommunistischer Gefahr.
Martin Held spielt den Geschichtsprofessor Cornelius, Ruth Leuwerik seine Gattin und Sabine von Maydell die ältere Tochter der beiden. Und in seiner Enkelin fand Franz Seitz eine Idealbesetzung für die Rolle des tragikumwitterten Lorchen.
Franz Seitz (Buch und Regie) nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann
Unordnung und frühes Leid
Franz Seitz-Produktion/Jugendfilm Deutschland 1977