
„Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert“: Wie in Wolfgang Herrndorfs posthum erschienenem Roman eröffnet die Ich-Erzählerin Isa auch auf den Brettern die nachdenklich-melancholische Reise einer jugendlichen Außenseiterin in ihr Inneres.
In der grandiosen, nach neunzig Minuten mit Ovationen gefeierten Inszenierung von Frank Weiß steht mit Johanna Wieking nur eine von drei Isa-Darstellerinnen auf dem Mädchenband-Rockkonzertpodium der Ausstatterin Sandra Schuck: Sie ist dieser in Bochum sehr musikalischen Freundschaftsgeschichte die handelnde Isa, während Miriam Berger und der Musikerin Linda Bockholt eher die Facetten der denkenden und fühlenden Isa zufallen.
„Die Sterne wandern, und ich wandre auch“: Ein 14-jähriges Mädchen steht barfuß im Hof einer Psychiatrischen Anstalt. Als sich das Eisentor für einen LKW öffnet, schlüpft es unbemerkt hinaus. In der Hosentasche immerhin ihr Tagebuch und ‚was zum Schreiben.
Isa flüchtet sich zunächst in einen Wald, versorgt sich per Mundraub in einem Dorfladen, nimmt eine Dusche am Rasensprenger mitten auf einem Fußballplatz zum Gaudi der urplötzlich aufgetauchten Kicker. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, besonders an den Vater. Und beobachtet am Kanal einen Lastkahn, auf den sie im nächsten Moment einfach aufspringt. Der Kapitän ist nicht gerade erfreut über den blinden Passagier, verarztet aber Isas wunden Füße. Und tut auch ihrer wunden Seele gut, denn er hat etwas zu erzählen.
Später landet Isa zunächst bei einem merkwürdigen Schriftsteller, der einmal Theologe und Jurist gewesen ist. Und dem sie besser durch das Fenster entkommt. Schließlich bei einem Fernfahrer mit einer Ladung halb verdursteter Schweine, die Isa erst versorgt, bevor sie sich aus dem Staub macht und auf die beiden Jungen aus „Tschick“ trifft…
Das Bochumer Frauen-Trio verkörpert nicht nur die unterschiedlichen Facetten Isas, sondern auch alle anderen Figuren. Mit Schlagzeug, Gitarre, Keyboard und Gesang macht die Girl-Band, sämtlich barfuß wie Isa, gleich ordentlich Lärm. Und sorgt nicht nur musikalisch für hohes Tempo: Bei den zwar im hohen Maße poetischen, in den bisherigen Inszenierungen auf der Bühne jedoch bisweilen ermüdend langen Monologen Isas werfen sich die drei Darstellerinnen in Bochum die Bälle gegenseitig zu. Und das mit ansteckend-fröhlicher Kindergeburtstags-Aufgedrehtheit.
Regisseur Frank Weiß stellt die Komik der Vorlage heraus mit furioser Slapstick-Gaudi oder pantomimischen Dopplungen. Welche sich musikalisch in wundervoll harmonischem a-capella-Gesang fortsetzen. Die erste Bochumer Inszenierung des bisherigen Dramaturgen ist nicht nur die erwartete Herrndorf-Hommage, bereichert um ein breites Spektrum musikalischer Übergänge vom Kinderlied über reine Rhythmus-Performance bis hin zum Pop-Song. Sondern sie trägt durch die ganz besondere, stimmungsvolle Atmosphäre ‚mal lautmalerisch-imaginierender Töne, ‚mal einfach nur melancholischer Melodien auch Züge eines Requiems. Wenn man bedenkt, dass dem Trio mit Linda Bockholt nur eine Musikerin angehört, ist das ein sensationeller Abend.