Mittelalterlich düster wie die scheinbar unüberwindlich hohe Mauer der römischen Engelsburg auf dem Vorhang ist in Tilo Steffens Bühne die Kirche Sant’Andrea della Valle, in der der Maler Caravadossi („E lucevan le stelle“: der Amerikaner Derek Taylor ein Gast-Tenor wie aus dem Bilderbuch des Belcanto) am Bild der büßenden Magdalena arbeitet.
Der Blick des Publikums ruht jedoch nicht auf diesem Andachtsbild, sondern auf einem gewaltig dimensionierten Gemälde, das man nicht in diesem Raum erwartet hätte: eine Parade junger, selbstbewusster, nackter Frauen, die auf den Betrachter zugehen. In diesem Fall auf den Mesner (Joachim Gabriel Maaß), der sich für jedes Detail der weiblichen Anatomie interessiert, um sogleich, erschrocken über die eigene Entdeckerlust, keusch zurückzuweichen.
Nach einer Bild-Ikone Helmut Newtons greift Steffens auf skulpturale Werke von Jeff Koons zurück mit seiner Muse Cicciolina als kitschig überhöhter Madonna. Der Schau-Wert des dreistündigen Abends ist jedenfalls enorm, selbst wenn man dem zu Recht umstrittenen Regiekonzept nichts abgewinnen kann: Die am 14. Januar 1900 uraufgeführte Oper spielt einhundert Jahre zuvor, als Napoleon vor den Toren Roms steht. Tobias Heyder verlegt das Geschehen in die Dreißiger und frühen Vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Inquisition der papistischen Kirche ist durch das Terrorregime des Duce ersetzt.
Im zweiten Akt residiert der Polizeichef Scarpia (umjubelte Rückkehr ans MiR: der kraftvolle griechische Bariton Aris Argiris) im Palazzo Farnese, bei Tilo Steffens eine Mischung aus gespenstischen Fensterhöhlen Giorgio de Chiricos und faschistischer Architektur, inmitten einer großen Raubkunst-Sammlung. Und im dritten Akt hat der Mesner angesichts der Nachricht von einer bevorstehenden Zeitenwende (Napoleons Sieg passt in Heyders Inszenierung natürlich gar nicht ins Bild) nichts besseres zu tun, als die nackten Frauen mit schwarzer Farbe zu übermalen.
Genug von solchem Unsinn. Umsichtig geleitet vom GMD Rasmus Baumann, der im Graben ein wahres Puccini-Feuerwerk zündet und dennoch die dienende Funktion der Philharmoniker gegenüber einem über sich hinaus wachsenden Ensemble ständig im Blick hat, ist die Gelsenkirchener „Tosca“ musikalisch ein Genuss.
Als Floria Tosca posiert die Sopranistin Petra Schmidt zwar als Diva, in erster Linie aber ist sie im ersten Akt eine Eifersüchtige („Mia gelosa!“) und eine zutiefst Liebende („Ed io venivo a lui tutta dogliosa“), in den Folterszenen des Mittelaktes („Vissi d’arte“) sowie am schrecklichen Ende („Amaro sol per te m’era il morire“), das ihr selbst am Kennedyplatz erspart wird, eine Leidende.