Das Leben ist ein Schatten und der wandert,
ein armer Spieler nur, der seine Stunde
auf einer Bühne auf- und abgeht und sich
quält, und dann ist er verscholln.
Nach Lisa Nielebock 2008 am Schauspielhaus und ihrer Schülerin Nina de la Parra Anfang Februar 2014 an der Rottstraße beschert uns die Prinz-Regent-Prinzipalin Sibylle Broll-Pape nun schon die dritte „Macbeth“-Inszenierung in Bochum, Premiere war am 14. November 2014. Ihr nach „Ein Sommernachtstraum“ und „Othello“ bereits dritter Shakespeare im Bochumer Süden ist zugleich ihre letzte große eigene Inszenierung vor dem Wechsel nach Bamberg.
Eine programmatische Stückwahl gemäß ihrem Anspruch, ambitioniert-alternatives und zugleich qualitätvolles Stadttheater auf hohem künstlerischen Niveau zu machen: zum guten Schluss einer Ära, man kann ihre so entbehrungsreichen wie verdienstvollen Jahre im Abseits der hochsubventionierten Kultur-Leuchttürme Bochums nicht anders benennen, ein konzentriertes, nach der kraftvoll-verknappten und gänzlich unromantischen Fassung Thomas Braschs („Die Tragödie des Macbeth“) erheblich reduziertes Ensemblestück für fünf stark, bis auf die beiden Protagonisten Gerhard Roiß in der Titelrolle und Katharina Brenner als Lady Macbeth sogar mehrfach geforderte Schauspieler.
„Es geht nicht um das Königreich Schottland. Der Ort und die Zeit sind offen. Alles ist so abstrakt, dass der Zuschauer seine eigene Lebenswelt hineinprojizieren kann“: Sibylle Broll-Pape und ihre über Jahre vertraute Ausstatterin Trixy Royeck lassen zwei kurzweilige Stunden lang auf einer bunten Weltenscheibe mitten im Publikum spielen. Zu Beginn sitzt das in Jeans und weißen Shirts als Figuren unserer Gegenwart ausgewiesene Darstellerquintett im Kreis um die in der Mitte platzierte Königskrone, aus dem Off klingen (gregorianische?) Gesänge. Alle scheinen sich gegenseitig zu belauern und stoßen dabei zischende Laute aus, die dem Fauchen eines Tigers nahe kommen.
Auch wenn die Tribünen des Prinz Regent Theaters nicht die Höhe des englischen Originals erreichen, herrscht ein wenig Globe-Atmosphäre: Kostüme wie der nobilitierende purpurrote Mantel der Königin und Requisiten wie das lange Schwert des Königs lagern für alle sichtbar unter der aufgebockten und solchermaßen nicht gerade geerdet-sicheren Spielfläche. Nicht nur die im Programm ausgewiesenen Christoph Wehr, Maximilian Strestik und Magdalena Helmig bilden das Hexen-Trio, alle weissagen den vom Schlachtfeld heimkehrenden Feldherrn eine glorreiche Zukunft: Macbeth soll König werden und Banquo Stammvater eines Königsgeschlechts.
Gerhard Roiß, Kölner Schauspieler und Dozent aus Österreich und nach dem Yvan in „Kunst“ am gleichen Ort nun nicht weniger umjubelt als Macbeth, gibt keinen selbstverliebten Helden, sondern einen Zweifler, dem die avisierten neuen Titel eine offenbare Last sind. Wie die nunmehr ins Uferlose wachsenden Ambitionen seiner zielstrebigen Gattin, die freilich an seinem Machtinstinkt zweifelt und daher umso größere Anstrengungen unternimmt, ihn anzutreiben. Ohne Rücksicht auf eigene Verluste: „Löscht aus, was an mit Frau ist…!“
„Wie eine Rose aussehen, wie eine Schlange sein“: Auch Sibylle Broll-Pape fordert ihr Ensemble heraus, das sich ohne Netz und doppelten Boden inmitten des Publikums auch noch als Stimmenimitatoren und Geräuschemacher beweisen muss. Bravourös – naturgemäß. Zur grandios flapsigen Sprache des genialischen Thomas Brasch kommt der vom heimischen Autor Frank Goosen übersetzte Pförtner-Monolog, den Christoph Wehr mit umgehängtem blau-weißem VfL-Fanschal auf Ruhrdeutsch spricht: ein dolles Abschiedsgeschenk des PRT-Kuratoriumsmitglieds an „seine“ Prinzipalin mit reichlich drastischem Bochumer Lokalkolorit.
König Duncan ist das erste Opfer. Nachdem der Mordverdacht auf dessen geflohene Söhne Malcolm und Donalbain gelenkt werden kann, steht der Krönung Macbeths nichts mehr im Wege. Doch einmal mit welchen Mitteln auch immer erworbene Macht will gesichert werden, zumal Gerhard Roiß‘ König die Krone nun doch ganz gut gefällt, weshalb es nun Banquo und Macduff ans Leben geht. Weil Letzterer außer Landes geflohen ist, um sich dem Heer Malcoms anzuschließen, muss seine Familie dran glauben.
In der Mitte des nun von einem weißen Laken plakativer Unschuld bedeckten Erdenrundes tut sich ein Loch auf. Macbeth ist von Alpträumen geplagt, was Sibylle Broll-Pape intelligent mit einfachen Mitteln szenisch löst statt wie sonst üblich auf Videoeinblendungen zurückzugreifen. Beim zweiten Hexen-Auftritt versinkt die Krone wie von Zauberhand in besagtem Loch – und der nun gänzlich dem Wahn verfallene Macbeth greift ins Leere. Als am Ende Magdalena Helmigs Malcolm von Maximilian Strestiks siegreichem Macduff die Krone seines ermordeten Vaters aufs Haupt gesetzt wird, ist auch Lady Macbeth wahnsinnig geworden.
Rasch nimmt der junge König die Krone wieder vom Haupt, dreht sie unter skeptischen Blicken in seinen Händen. Malcom lässt die Hoffnung durchscheinen, dass er die Verantwortung des ihm noch fremden neuen Amtes ernst zu nehmen gedenkt. Dass die Rolle des legitimen Königs unzweifelhaft von einer Frau verkörpert wird, mag als zusätzliches Indiz für vorsichtigen Optimismus gelten, der diesmal dem so grandios gescheiterten Titelhelden nicht das letzte (Theater-) Wort überlässt.