
Wer jetzt die Stufen zum Kulturforum Potsdamer Platz erklimmt, wird von einem eisigen Wind empfangen, der die Temperatur gefühlt um mindestens fünf Grad absinken lässt. Viel wärmer wird einem im nach umfangreichen Umbauarbeiten wiedereröffneten Kunstgewerbemuseum auch nicht, denn die Betonarchitektur Rolf Gutbrods von 1966 wirkt von außen so abschreckend wie von innen: am verzwickt-verwinkelten Treppenhaus, einem überdies gewaltig verschenkten Raum, hat sich nichts verändern lassen.
Doch wer sich für die Entwicklung der Mode interessiert, wird sich nicht abschrecken lassen: die neue Dauerausstellung gleicht einem Spaziergang durch die Modegeschichte von 1730 bis in unsere Gegenwart. Die Präsentation in abgedunkelten Räumen mit eingebauten Großvitrinen umfasst nicht nur Kostüme berühmter Couturiers, sondern auch Accessoires wie Fächer, Schuhe, Hüte, Schmuck und Korsettagen. Zu den Überraschungen gehört ein extravagant-anzüglicher Halsschmuck, den das DDR-Kulturministerium bei Claudia Bangut (Halle) in Auftrag gab für die Quadrinale Erfurt 1991. Den Mode-Rundgang sollte man im Obergeschoss beginnen, wo, in mehreren Abteilungen versteckt, die Exponate zwischen 1730 und 1890 zu sehen sind (Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr).
Auch die Design-Sonderausstellung im Untergeschoss, die bisweilen an die nackte, und darob schon wieder beeindruckende Studiensammlung des Wiener Bundesimmobiliendepots erinnert, birgt zahlreiche Schätze vom Kinderschaukelstuhl der Gebr. Thonet von 1881 bis zum legendären Braunschen Schnewittchensarg. Leider gibt es nur eine Handvoll anschaulicher Ensembles, speziell in der Jugendstil-Abteilung. Diesbezüglich ist der zweite Museumsstandort im Schloss Köpenick, wo die Ausstattungskunst vom 16. bis 18. Jahrhundert im ungleich stilvolleren Rahmen präsentiert werden kann, klar im Vorteil. Das barocke Juwel hat im Winter (bis einschl. März) nur Do – So jeweils von 11 bis 17 Uhr geöffnet.
Apropos Mode. „Krieg und Kleider“ ist der Titel einer Ausstellung mit künstlerischen Illustrationen, Fotografien und Journalen zur Modegrafik des Ersten Weltkriegs aus der Sammlung Modebild – Lippeheidesche Kostümbibliothek, die noch bis zum 18. Januar 2015 in der benachbarten Kunstbibliothek gezeigt wird (Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr, Führung So 15 Uhr, Katalog 35,95 Euro). „Los von Paris“ lautete die Parole in Berlin in den Kriegsjahren zwischen 1914 und 1918. Was zu einer Stärkung der eigenen Position führte – mit nachhaltiger Wirkung. Fand die erste Werkbundausstellung zur Mode 1917 noch in Bern statt, wurden ab 1918 jährlich zwei Modewochen in Berlin abgehalten: die Röcke wurden deutlich kürzer, schlicht-sportliche Tageskleidung war gefragt, neue Materialien wie Seiden- und Wolljersey kamen auf. Auch in Wien wurde die Abkehr vom „Pariser Modediktat“ forciert, die renommierten Wiener Werkstätten unterhielten freilich schon seit 1911 eine eigene Modeabteilung. Und in Paris? Dort war die Kundschaft östlich des Rheins weggbrochen, weshalb sich die Ateliers mehr nach Amerika hin orientierten.
Neue Nationalgalerie
„Es darf ja wohl noch geträumt werden“ betitelte die Doyenne der hauptstädtischen Kunstkritik, Ingeborg Ruthe, Mitte Oktober ihren Artikel über die Sonderausstellung „20 Werke für das 20. Jahrhundert“ in der „Berliner Zeitung“. Noch bis 31. Dezember 2014 werden im unteren Foyer, als Zwischenstation zur finalen Sammlungspräsentation „Ausweitung der Kampfzone“ mit ausgewählten und beispielhaft erläuterten Exponaten der Kunst nach 1968, zwanzig Exponate der bedeutenden Surrealisten-Sammlung des Berliner Ehepaars Ulla und Heiner Pietzsch gezeigt, darunter Gemälde und Skulpturen von Giacometti, Max Ernst, Magritte, Miro, Delvaux und Picasso. Der Traum, die wertvolle, auf 150 Millionen Euro geschätzte Pietzsch-Schenkung dauerhaft in angemessenen Räumlichkeiten zeigen zu können wie die Exponate anderer Privatsammler wie Erich Marx und Egidio Marzona, welche nur wechselweise im Hamburger Bahnhof vorgestellt werden können, könnte jetzt Wirklichkeit werden.
Denn der Haushaltssausschuss des Deutschen Bundestages hat 200 Millionen Euro für einen Neubau am Kulturforum Potsdamer Platz bereitgestellt. Auf einer Fläche von 14.000 qm soll die Sammlung der Neuen Nationalgalerie aus dem Depot geholt werden. Freilich gibt es noch Hürden zu überwinden: das Land Berlin muss das Grundstück zur Verfügung stellen und alle baurechtlichen Voraussetzungen schaffen. Zwei Flächen stehen zur Auswahl: eine kleinere unmittelbar hinter dem Mies-van-der-Rohe-Bau, der zum Jahreswechsel auf zunächst unbestimmte Renovierungs-Zeit geschlossen wird, und eine größere unmittelbar an der Potsdamer Straße. Ein Neubau hier würde sich wie ein Riegel vor die St. Matthäus-Kirche und den Matthäikirchplatz schieben und müsste auf die Gebäude Hans Scharouns (Philharmonie, Staatsbibliothek) sowie das Ensemble um die Gemäldegalerie Rücksicht nehmen. Und wäre teurer: das Grundstück befindet sich im Privatbesitz.
Bevor sich im Januar 2015 der britische Stararchitekt David Chipperfield an die auf drei Jahre projektierte Sanierung des 1968 eröffneten Glaspalastes macht, hat er die obere Halle mit 144 entrindeten Fichtenstämmen zugestellt. Seine begehbare Installation „Sticks and Stones“ bezieht sich auf die beiden Grundelemente Mies van der Rohes: Säulen (Stützen) und Steine. Wie eine provisorische Stützkonstruktion nehmen die gut acht Meter langen Baumstämme symbolisch das Gewicht des Daches auf (Di-Fr 10-18, Do bis 20 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Architekturführungen Sa 15 Uhr, Anmeldungen unter Tel. 030 – 266 42 42 42 Mo-Fr 9-16 Uhr).
Ebenfalls noch bis Jahresende ist die nach einem Zitat aus Georg Büchners gerade am Berliner Ensemble gespielten Drama „Woyzeck“ betitelte Ausstellung „No Father No Mother“ des 1936 in Tel Aviv geborenen, zeitweise mit Kreuzberger Atelier in Berlin wohnenden israelischen Künstlers Moshe Gershuni zu sehen. Nach Einzelausstellungen 1982 in Düsseldorf und im Jahr darauf in Münster ist diese Retrospektive, welche sich auf expressive, bisweilen arg konzeptuell aufgeladenen Arbeiten zwischen 1979 und 2011 beschränkt, die erste seit über 30 Jahren in einem europäischen Museum.