
Frauen-Power unter den Glückaufbahn-Bögen: In der Ausstattung von Claudia Radowski und im Video von Inga Krug agieren drei starke Protagonistinnen, da die Männer-Rollen gestrichen sind: Theresa Palfi vom Salzburger Mozarteum in der Titelrolle, Isabelle Barth vom Staatstheater Mannheim als jüngere Schwester Chrysothemis sowie Folkwang-Absolventin Lisa Balzer als beider Mutter Klytämnestra.
Kerstin Krug sieht „Elektra“ als Familienhölle, in der die drei seit mehr als einem Dutzend Jahren eingesperrten Frauen einander hassen und quälen im Bewusstsein, aufeinander angewiesen zu sein, voneinander nicht mehr loskommen zu können. Dabei setzt die Regisseurin bewusst nicht nur auf eine sehr junge Besetzung, sondern auf ein Trio in etwa gleichaltriger Schauspielerinnen: „Klytämnestra hat sich während der fünfzehn Jahre nicht entwickelt, ist innerlich stehen geblieben seit dem Mord an Agamemnon.“
Der Bühnenraum löst klaustrophobische Ängste aus: Jagdtrophäen hängen an der rechten Wand, die später Lisa Balzer wie unter Zwang abstauben wird. Sie gibt die Klytämnestra mit sehr viel Schmuck an nahezu allen Fingern und hochtoupiertem Haar wie in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als eine (Haus-) Frau, die ganz selbstverständlich Männlichkeitsriten verinnerlicht. Später flimmert über den zunächst verhängten TV-Monitor die Ideal-Vorstellung einer glücklichen Familie, der allerdings der Vater abhanden gekommen ist.
„Ich bin kein Vieh, ich kann nicht vergessen!“: Theresa Palfi setzt sich zu ihrem ersten großen Elektra-Monolog, einem einzigartigen, unter die Haut gehenden Hilfeschrei der Verzweiflung nach dem toten Agamemnon, eine Stiermaske auf. Später wird sie sich, nach dem grandiosen, erschütternden Dialog mit Klytämnestra und der Nachricht vom vermeintlichen Tod des Bruders, konvulsivisch zuckend auf dem Boden wälzen. Neurotische Zwangshandlungen, bei denen Hofmannsthals Landsmann Sigmund Freud grüßen lässt wie bei den Puppen-Requisiten?
Am Ende der achtzigminütigen Aufführung muss die Regisseurin freilich zu einer Hilfskonstruktion greifen: Isabelle Barths Chrysothemis entpuppt sich, incognito, als Orest…
Kerstin Krugs „Elektra“ kann dennoch bestehen – als Rache-Melodram von antikem Ausmaß, als Psycho-Kammerspiel der Moderne, die heute als „klassisch“ bezeichnet wird, aber auch als durchaus aktuelle Terror-Warnung: es sind nicht immer nur vollbärtige Gesellen mit Strickmützen oder Turbantüchern, die aus unbändigem, rational nicht nachvollziehbarem Hass zu blindwütigen Rächern werden.