Die Geschichte nach Beaumarchais‘ gleichnamigem bissigen Angriff auf das vom Adel reklamierte „Recht der ersten Nacht“ wie auf die feudale Willkürherschaft überhaupt spielt am Vorabend der Französischen Revolution. Figaro (großer Komödiant und großartiger Sänger: Piotr Prochera), der Diener des Grafen Almaviva (zupackend: Michael Dahmen), will Susanna (zuckersüßer Traum in Weiß: Alfia Kamalova) heiraten, die Zofe der Gräfin Rosina (anrührend: Petra Schmidt).
Der jedoch auch der Graf nachstellt, weshalb ihn seine Gattin mit dem jetzt am MiR nicht mehr ganz so jungen Pagen Cherubino (eine Wucht: Anke Sieloff) eifersüchtig machen will, um Almavivas Liebe zurück zu gewinnen…
Für Peter Hailers Neuinszenierung hat Etienne Pluss einen holzvertäfelten Zwischen-Raum kammerspielartig auf die Bühne des Großen Hauses gestellt: halb Flur, halb Abstellkammer. Auf dem von unten beleuchteten Cat-Walk hasten die Sänger im Laufschritt von links nach rechts und retour, dass deren Perücken stauben. Die ihnen die Liebhaberin schriller Strumpfhosen, Uta Meenen, zu häufig allzu schrägen Kostümen verpasst hat, welche einerseits zeitlos sein sollen, andererseits, und das nicht ohne Witz, die Mode des 18. Jahrhunderts zitieren.
Das geht munter so weiter, bis Piotr Prochera die Wände beiseite schiebt um Maß zu nehmen für das Zimmer, dass er sich ausschließlich mit Alfia Kamalova zu teilen trachtet. Peter Hailer gibt dem unterhaltungsdurstigen und, Valtteri Rauhalammi am Hammerklavier sei Dank, schon nach der Ouvertüre sehr applausfreudigen Publikum Zucker: vom furiosen musikalisch-szenischen Duell der Rivalinnen um Figaro, Susanna und Marcellina (Almuth Herbst), die, man ahnt es schon, als Reinigungsfachkraft im Kittel und mit Plastikhandschuhen das Parkett betritt, über die grandiose Slapstick-Nummer mit Michael Dahmen und Anke Sieloff unter derselben Bettdecke bis hin zu lebenden Bosquetten beim munteren Bäumchen-wechsle-dich-Spiel.
Der Schau-Wert also ist enorm – und der Musikgenuss nicht weniger. Zu dem das ganze elfköpfige Ensemble beiträgt, vom gewaltigen Bartolo Dong-Wong Seos über den verschmitzten Basilio E. Mark Murphys bis hin zur zierlichen Barbarina Dorin Rahardjas und Nikolai Miassojedovs Gärtner Antonio. Und nicht zuletzt der neue 1. Kapellmeister am MiR, der 1981 im finnischen Espoo geborene Valtteri Rauhalammi, der in Helsinki und Wien studierte, seit sieben Jahren in Deutschland lebt und in Gelsenkirchen heuer mit „La Traviata“ debütierte. Er bringt Mozart zum Leuchten mit den auf Originalklang-Stärke reduzierten, glücklicherweise nur halb in den Graben verbannten Philharmonikern.