„In allem, was sie tat, paarte sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten“: Effi, einziges Kind des naturgemäß konservativen, in manchen Dingen aber doch recht freigeistigen Ritterschaftsrates von Briest (Christoph Finger), ist 17 Jahre jung, eine „Tochter der Luft“ in den Augen ihrer Mutter Luise (Veronika Nickl).
Das wilde, leidenschaftliche Mädchen wächst wohlbehütet im havelländischen Herrenhaus zu Hohen-Cremmen auf, bis Baron Geert von Innstetten (Werner Strenger), mit 38 Jahren auf den Tag genau so als wie ihre Mutter, die er als Zwanzigjähriger einmal sehr verehrte, um Effis Hand anhält.
Effi hält den Landrat im hinterpommerschen Kessin mit Ambitionen zu Höherem durchaus dafür geeignet, ihrem Dasein als Märchenprinzessin eine neue, aufregende Wendung zu geben – auch wenn sie sich ein wenig fürchtet vor dem prinzipientreuen Gatten in spe und der Langeweile besonders in den langen Wintermonaten. Diese vertreibt ihr der Apotheker Gieshübler (Daniel Stock) und bald auch der junge, attraktive Major Crampas (Krunoslav Sebrek).
Was nicht ohne gravierende Folgen bleibt: „Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm.“ Innstetten erschießt Crampas im Duell und lässt sich von Effi scheiden. Die in einem nach 250 Seiten in Maßen versöhnlichen Finale immerhin in heimatlicher havelländischer Erde bestattet werden kann…
Die Frage, warum der Roman 116 Jahre nach Erscheinen und mindestens einem halben Dutzend Verfilmungen nun auch noch auf die Bühnen-Bretter gehört, kann die Bochumer Inszenierung Cilli Drexels, eine Übernahme aus Essen, nicht beantworten. Fremdgehen ist selbst in besseren Kreisen heute kein Grund mehr, zur Duellpistole zu greifen.
Und um die kommen ein alles andere als schneidiger Werner Strenger in der Rolle eines düsteren, in sich gekehrten, geradezu boshaft-verschlagenen Prinzipienreiters Innstetten und ein oberflächlich-hallodrihafter Krunoslav Sebrek in der Rolle eines leichtlebigen Womanizers Crampas auch an der „Kö“ nicht herum.
Bleibt die kongeniale Besetzung der Titelrolle mit einer herrlich impulsiven Nadja Robine. Wenn sich der Vorhang hebt, tollt ein junges Mädchen, das in einem zartrosa Tüllkleidchen und in reizenden Fellpuschel-Schühchen steckt, um ein Karussellpferd herum: Nadja Robines ganz selbstbewusst-heutige Effi drückt gleich bei der erste Begegnung Werner Strengers perplexem Innstetten einen Kuss auf die Wange. Und der weiß sich wenig später gegen das übermütig-nassforsche junge Ding nicht anders zu helfen, als dem Kirmesgaul den Stecker zu ziehen.
In der sich in manchen Passagen vor allem zu Beginn weit vom Fontane-Original entfernenden Textfassung wird Innstetten vor allem als Pedant diskreditiert. Es ist hier nicht die furchtsame, von ihrem beruflich stark geforderten Gatten alleingelassene Effi, die sich schließlich die Annäherung des Majors widerstrebend gefallen lässt, sondern Nadja Robine ergreift auch bei Krunoslav Sebrek sogleich die Initiative und küsst ihn demonstrativ in aller Öffentlichkeit.
Auch im zweiten (Berlin-) Teil nach der Pause vermag allein die 1980 in Leipzig geborene Nadja Robine, die seit 2005 zum Ensemble Anselm Webers in Essen und nun in Bochum gehört, Akzente zu setzen: Ihre Effi ist ganz bei sich und weit entfernt davon, sich den Ehrenkodex ihres Gatten, ihres Liebhabers oder ihrer Eltern zu eigen zu machen, vorn an der Rampe im Gespräch mit ihrer Vertrauten Roswitha oder später „in Familie“, nur von lauter toten Puppen umgeben. Sie bleibt, wenn auch durch das Leben gereift, eine Tochter der Luft: bei Kröck/Drexel geerdet, aber nicht wie bei Fontane seelisch zerstört.