
Styx: Frohes Fest. (Hacsek, skeptisch, will wegschleichen. Styx hält ihn zurück.) Dies ist das Purgatorium, ein Bereich zwischen dem Himmel da oben und der Halle da unten.
Frau Bernhard (korrigiert ihn): Hölle.
Styx: Besser bekannt, nach römisch-katholischem Glauben, als Fegefeuer.
Styx: Merkwürdigerweise ich versuche es ihnen klarzumachen, Herr Hatchkiss –
Hacsek: Hacsek.
Styx: – haben die Höheren Instanzen das bin zufällig ich, – entschieden, daß wir alle müssen uns ausschließlich in der Deutschen Sprache unterhalten und auch oberhalten. Sprechen Sie Deutsch, Herr Hacsek?
Hacsek: Schlecht.
Styx: Wir sind alle schlecht. Wie schlecht sind sie?
Hacsek: Sehr.
Purgatorium, George Taboris Abschiedsgeschenk ans Wiener Publikum, feierte im Mai 1999 im kleineren Burg-Ableger Akademietheater Uraufführung, bevor es dann, beinahe exakt fünf Jahre später, am BE herauskam. Zum 90. Geburtstag George Taboris hatte das Theater am Schiffbauerdamm eine stimmungsvolle Feier ausgerichtet, sozusagen als Vorspiel dazu wurde die Inszenierung von Andrej Woron, der nach dem Verlust seines Kreuzberger Teatr Kreatur als freier Regisseur durch die Lande zieht, auf die intime BE-Probebühne gestellt und ins Repertoire übernommen als kunterbuntes Kindergeburtstags-Spektakulum.
Zurück auf Anfang. Im Vorhof zwischen Himmel und Hölle trifft sich eine illustre Gesellschaft, bewacht und umgarnt von Styx (Paraderolle für Ursula Höpfner). Sarah Bernard ist darunter, die göttliche Schauspielerin (Anne Bennent), Marcel Proust (ihr Bruder David seltsam blaß), Leo Tolstoi (wie aus dem Bilderbuch: Jevgenij Sitochin), der slawische Souffleur Haksek aus Oldenburg (!), genial verkörpert von Florian Goll, und die drei Sieger des Zweiten Weltkriegs, Stalin (Hans Dieter Knebel), Roosevelt (Rudolf Melchiar) und Churchill (Heinz Schubert), von der Maske getreu den Originalvorlagen nachgebildet.
Es geht in Purgatorium eigentlich um nichts und doch um Gott und die Welt, wie immer bei Tabori. Und weil Stanley Walden vorn an der Rampe am Piano Platz genommen hat, greift auch noch ein Pianist ins muntere Geschehen der Vorhölle ein: in den Himmel kommt wohl nur das vortreffliche Schlitzohr Hacsek. Das Stück ist sicherlich eine der unbedeutenden Gelegenheitsarbeiten George Taboris, dennoch wissen die Wiener genau, was sie mit ihm, der am Pfingstmontag 85. Geburtstag feierte und Peymann ans BE folgt, verlieren: einen großen, altersweisen und bar jeder politischen Korrektheit witzigen Mann mit altösterreichisch-jüdischer Tradition, dessen Lebenswerk der Versöhnung nach dem Holocaust galt und immer noch gilt. Auch wenn seine Kraft vielleicht nur noch für die Etude reicht, das kleine dramatisch-musikalische Genre.
Was diesen Abend im Akademietheater zum Event macht ist ein kleines Abschiedsfest für Rudolf Melchiar anläßlich seines 70. Geburtstages wie seines 30jährigen Bühnenjubiläums. Ein Alter der Wiener Burg, naturgemäß kein Peymann-Freund, aber auch kein Profilneurotiker, der den aus Bochum gekommenen Piefke öffentlich abwatscht. Der kleine, improvisierte Akt, zu dem auch der stumme, unbeteiligt, aber freundlich wirkende Tabori auf die Bühne gebeten wird, hat zwei Pole: zum einen eine fürchterlich förmliche und daher peinlich-überhebliche Grußadresse des schon an der Spree weilenden Intendanten Peymann, wenn auch verlesen von Hermann Beil in seinem warmen wienerischen Timbre, zum anderen anrührend wirkende musikalische Glückwünsche zweier junger Ensemblemitglieder. Das i-Tüpfelchen aber setzt die muntere, lustig bezopfte Elfriede Jelinek mit wenigen, aber wunderbar ironisch-selbstkritischen Worten.
Zeitsprung, Mai 2004 im Berliner Ensemble. Im Wartezimmer zwischen Himmel und Hölle treffen Sarah Bernhardt (Eva-Maria Hofmann) und Josef Stalin (Janusz Cichocki aus der alten Teatr Kreatur-Truppe Worons), Marcel Proust (Martin Olbertz) und Sir Winston Churchill (Stephan Baumecker) aufeinander.
Die Figuren der Weltgeschichte und der Kunst warten auf die Entscheidung über ewigen Genuß im Himmel oder ewige Strafe in der Hölle. Sie palavern über ihr Leben, über politische Haltungen und banale Erlebnisse (Es wird deutsch gesprochen!), aber die Chance des Fegefeuers nutzen sie ebensowenig wie die der Beichte und damit die letzte Möglichkeit, der Hölle zu entgehen..
Aloysius Styx, der Herrscher der Zwischenwelt (der immer wieder herrlich kobolthafte David Bennent), kommentiert das Geschehen, in das im weiteren Verlauf auch noch Franklin Delano Roosevelt (Holger Madin), Lew Nikolajewitsch Tolstoj (Dzidek Starczynowski) und mit Tivadar György Hacsek (ebenso aus Worons einstiger Truppe: Ines Burdow) ein kopfloser Souffleur eingreifen.
Andrej Woron hat George Taboris wundersamem Fegefeuer voller philosophischem Humor jeden Schrecken genommen und es als sinnlichen Bilderbogen inszeniert. Die Teatr Kreatur-Fangemeinde fühlt sich, gerade auch beim Bühnen-Environment Worons, ans Hallesche Ufer zurückversetzt. In dessen Mittelpunkt ein zum Wohnmobil umfunktionierter französischer Bus-Oldtimer mit Propeller, der bald (auf Miniaturformat geschrumpft) die Köpfe des Publikums umkreist.