Einhundert Minuten Alpenglühen unter Tage mitten im Pott! Wer sagt eigentlich, daß nur Österreicher für aberwitzigen Ulk und hemmungslosen Trash, bevorzugt auf dem Bildschirm und der Kinoleinwand, sorgen? Und, wer hats erfunden? Die Schweizer!
Eine ganze eidgenössische Rasselbande erobert Ende Oktober 2.000 das TuT an der Bochumer Königsallee im Sturm, das Theater unter Tage, daß bisher ZadEck hieß und sich ansonsten (noch) nicht verändert hat, im Sturm.Und eine Frau Berg gleich mit, die eigentlich vor kurzem in Weimar geboren und aktuell im schnen Zürich leben soll.
Niklaus Helbling, der Regisseur, der den Charme der Freien Szene in den Bochumer Stadttheater-Keller holt, gehört zur Rasselbande, die Ausstatter Muriel Nestler und Dirk Thiele, vor allem aber Erika Stucky und die Rocksängerin Sina. Was letztere beiden drauf haben, sollte man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen.
Wobei der Rest des fabelhaften Ensembles keineswegs unterschlagen werden darf: Tonio Arango und Marcus Kiepe laufen zu großer Form auf, Manuel Bürgin, Lena Schwarz, Julie Bräuning und Manfred Böll stehen ihnen in nichts nach.
Die 38jährige Autorin Sibylle Berg, Wahl-Zürcherin aus Weimar, entführt das Publikum mit Helges Leben in das Jahr 2004. Die Menschen sind endlich ausgestorben und Tiere beherrschen den Blauen Planeten. Sie haben alle guten Technologien der Menschen weiterentwickelt, die Gentechnologie, Internet etc. Schlechte Dinge wurden abgeschafft. Das war einiges. Darunter die Liebe oder das, was die Menschen einst darunter verstanden.
Aber auch Gott hat überlebt und der Tod. Letzterer aber nur als Fußnote der Geschichte, denn durch die Gentechnologie ist die Lebenserwartung nun unbegrenzt. Menschen können jedoch, zur Unterhaltung der Tiere, kurzfristig wieder erschaffen werden. Wie Helga und Helmut (Marcus Kiepe, Lena Schwarz), eine intellektuelle Frauenzeitschriftsredakteurin (wie einst die Autorin) und ein Speditionsangestellter. Was kann dabei schon herauskommen?
Helge (Manuel Bürgin) kommt auf die Welt. Und mit ihm die Angst (göttlich: Tonio Arango) vor den Spielkameraden in der Kinderkrippe, der öden Fußballeidenschaft des Vaters, vor dem Versagen in der Schule und bei den Mädchen.
Dann läuft Helge aber, in einem Cafehaus, Tina (Julie Bräuning) über den Weg, auch an ihrer Seite stets die Angst (Paraderolle für Marcus Kiepe). Tina wird schwanger, Helge sieht sich nach anderen Mädchen um, Helge auf dem Sterbebett in den Händen einer zynischen Krankenchwester das ganze dreckige Menschenleben spult sich vor den Augen der Tiere ab, die sich angeekelt und letztlich auch gelangweilt ab- und der nächsten Werbeunterbrechung zuwenden.
Helges Leben ist eine saukomische Zivilisations- und Medienkritik, bei der Sybille Berg, einst langjährige erfolgreiche Kolumnistin in Nachrichten- und Frauenmagazinen, kräftig aus dem Nähkästchen plaudert. Niklaus Helblings Inszenierung zum Auftakt der Intendanz Matthias Hartmann in Bochum ist so überdreht wie die Story, welche durch den Regisseur erst zum Leben erweckt wird. Und natürlich durch das fabelhafte Ensemble, hier sind vor allem die beiden Anglo-Schweizer Jazz-, Rock- und Popladys Erika Stucky und Sina Bellwald zu nennen. Die füllen trotz des späten Beginns um 22 Uhr die 99 Stühle im TuT bis auf den letzten Platz.
Was bei den 26. Mülheimer Theatertagen Stücke Anfang Juni 2001 in der Stadthalle nicht anders war, wo das schöne Theaterstück von Frau Berg aus dispositorischen Gründen der Schweizer Gäste letztmals gezeigt wurde, obwohl es längst Kultstatus erreicht hatte. In der Publikumsdiskussion im Anschluß an die Aufführung kam heraus, daß sich eine regelrechte Fangemeinschaft unter Theater-Studenten gebildet hat, die im Internet eine eigene Homepage betreut