
Die schönste Schauspielkunst ist, dass das Publikum die Angst nicht merkt hat Tana Schanzara einmal in Sandra Maischbergers ARD-Talkshow verraten. Die Hernerin, die Ende 2004 nicht nur ihren 80. Geburtstag, sondern auch ihr 50jähriges Bühnenjubiläum am Schauspielhaus Bochum feiern konnte, bekannte offen, nach wie vor von Lampenfieber geplagt zu sein auf den Brettern, die ihr die Welt bedeuten: Da kann doch sonst was passieren. Auf einmal fallen einem die Worte nicht mehr ein…
Tana ist eine Identifikationsfigur des Revier-Theaters wie keine zweite. Dennoch haßt sie nichts so sehr wie wohlgemeinte Etiketten der Art Duse des Reviers. Sie kam 1925 als Konstanze Schwanzara in Kiel zur Welt, wuchs in Dortmund und in Köln auf, wo ihre Eltern, beides Opernsänger, verpflichtet waren. Nach der Schauspielschule in Köln folgten erste Engagements in Oldenburg und Gelsenkirchen, hier u.a. an der Seite Jürgen von Mangers und des gebürtigen Herners Waldemar Mauelshagen, die beide leider schon verstorben sind, bevor sie 1954 nach Bochum wechselte, wo sie seit 1956 zum Ensemble gehört und mittlerweile sieben Intendanten er- und überlebt hat.
Tana Schanzara, die über Jahrzehnte in Herne wohnte, wo sie im Schatten des Baukauer Kraftwerkturms eine ganze Menagerie in ihrem geliebten Schrebergarten versorgte, feierte 1970 mit Vatta aufstehn einen enormen Erfolg, dem zahlreiche Ruhrpott-Komödien auf der Leinwand und dem Bildschirm folgten.
Unvergesslich ihre Rolle als Büdchenbesitzerin Frau Jendrinski in den Bochumer Liederabenden Solo für Tana (1985), Tana in New York und Tana in Moskau, die ihr der ebenfalls bereits verstorbene Uwe Jens Jensen auf den Leib geschrieben hatte. Ihren größten Bühnenerfolg feierte Tana Schanzara jedoch, obwohl sie fürchterlich unter Flugangst leidet und daher häufiger Gast im Nachtzug zwischen Bochum und Wien war, am Burgtheater unter der Intendanz Claus Peymanns 1990 in Peter Turrinis Tod und Teufel. In der Theater heute-Kritikerumfrage wurde sie daraufhin zur Schauspielerin des Jahres gewählt.
Demnächst steht sie vielleicht in Zürich auf der Bühne, eingeladen vom früheren Bochumer Intendanten Matthias Hartmann, der Tschechows Iwanow und Turrinis Maria und Josef mit Tana Schanzara besetzen will. Das wird die Wahl-Kölnerin wieder lange Nächte im Zug kosten, aber sie hat familiäre Beziehungen zur Schweiz: Ihre Großeltern stammen aus Altstetten, einem kleinen Zürcher Vorort.
Zu ihrem Doppeljubiläum ist Mitte Dezember 2005 wieder ein Liederabend entstanden, der freilich ganz bewußt nicht an die erfolgreichen Revier-Liebeserklärungen anschließt, sondern eine Theater auf dem Theater-Story erzählt: In A Kiss Is Just A Kiss haben die Bühnenbretter Falltüren, die es zu umschiffen gilt und da können die beiden großen Alten des Bochumer Theaters, Tana Schanzara und Eleonore Zetzsche, den Jungen wie Claude De Demo und Lena Schwarz noch einiges mit auf den (Karriere-) Weg geben.
Ist das hier das Vorsingen? Tana nimmt in dem neuen, von Franz Xaver Zach inszenierten und von Stephan Ohm musikalisch geleiteten Abend erst mal ein Piccolöchen, um in Stimmung zu kommen. Das schwungvolle Opening bestreiten die Jungen, Lena Schwarz mit Blueprint und Claude De Demo mit She works hard for the money und Teach me Tiger.
Naturgemäß sind die Alten die Stars, Tana mit dem Titelsong As Times goes by und im Duett mit Eleonore Zetzsche: Love me Tender. Das ist ganz freiwillig komisch und anrührend zugleich, auch Eleonores grandioses Solo mit dem Hildegard Knef-Song Von nun an gings bergab: Die mittlerweile 86jährige Schauspielerin, die zum Berliner Ensemble Claus Peymanns gehört, stand immer wieder zusammen mit Tana auf der Bochumer Bühne, so Mitte der 60er Jahre in Büchners Dantons Tod, Hauptmanns Die Weber, Schillers Maria Stuart und Audibertis Der Lauf des Bösen.
A Kiss Is Just A Kiss wartet mit berückenden Soli auf, etwa Lena Schwarz als femme fatale mit Makin Whopee, Imogen Kogge mit What a difference a day makes und Franz Xaver Zach als Schöner Gigolo. Poetischen Rezitationen wie Tanas Anett Louisans-Interpretation Das Spiel und Imogen Kogges Summ-Summ nach Hofmann von Fallersleben und wunderbar getragene Chansons werden immer wieder von szenische Petitessen und großen Ensemble-Auftritten unterbrochen.
Dennoch: Die Casting-Story ist einfach zu dünn, um der Folge der herrlich swingenden Musik-Nummern über knapp zwei Stunden ein tragfähiges Korsett zu verleihen. Es fehlt der Pfiff und auch der zündende Funke, der zuletzt bei Pizza Pazza und dem Beatles-Programm Lonely Hearts Club Band über die Rampe ins Parkett übersprang.
Aber singen können sie alle, und das hat seinen guten Grund: Nicht nur Tana, sondern auch Franz Xaver Zach stammt aus einem Opernsänger-Elternhaus und Eleonore Zetzsche legtet ihre Gesangsprüfung bei keiner geringeren als Elisabeth Schwarzkopf ab.