
Theater auf dem Theater. Der rote Vorhang ist ein wenig gelupft, dahinter formieren sich die Beine der Balletttänzer, stampfen unruhig auf wie junge Pferde in der Koppel. Wann geht es endlich los zehn Tage nach dem ursprünglichen Premierentermin? Shakespeare leuchtet im Pepsi-Schriftzug auf der Brandmauer. Und Alfons Nowackis Septett, darunter einmal mehr der vorzügliche Castroper Bodo Klingelhöfer, behalten ihre Hüte auf ganz im Stil der ausgehenden Vierziger Jahre, in denen Kiss me, Kate am Broadway zum Siegeszug auf den Bühnen der Welt antrat.
Theater auf dem Theater. Durcheinander auf der Bühne, Probenatmosphäre. Es werden heute zur Premiere einige wichtige Leute kommen… Wenn man denn den Meyer dazurechnet. Die echten Promis mussten komplett absagen und Rudolf Seiters wäre nach den markigen Worten des Recklinghäuser ÖTV-Bosses wohl ohnehin nicht auf den Hügel gekommen. Hat dieser Brunnenvergifter dem Bundesinnenminister doch tatsächlich körperliche Gewalt angedroht. Und jetzt, nachdem das Streikergebnis vorliegt, die Urabstimmung in die Hosen gegangen ist? Wer Gewalt sät, um Maximalforderungen als gewöhnlichste Sache der Welt zu verkaufen, muss nicht nur mit seiner eigenen, sondern auch mit der Dummheit seiner Anhänger leben.
Theater auf dem Theater. Provinzpolitiker machten Hansgünther Heyme einen dicken Strich durch die Rechnung seines 2. Europäischen Festivals 1992: das Cole Porter-Musical Anything goes, dass der wenig später nach Bremen wechselnde Ruhrfestspiel-Intendant als Europäische Erstaufführung auf dem Grünen Hügel Recklinghausens herausbringen und dort über die Festspielwochen hinaus ein Jahr lang en suite spielen wollte, wird nun wohl im Berliner Theater des Westens herauskommen und höchstens als Gastspiel im Revier zu sehen sein.
So griff der Noch-Essener Theatermacher zu einem vertrauten Stoff, ebenfalls von Cole Porter: Kiss me, Kate. Das inhaltlich recht brave, musikalisch aber mit weit mehr als einem halben Dutzend Evergreens reichlich gesegnete Musical aus der Frühzeit dieses Genres, von Heyme bereits in Heidelberg und Stuttgart auf die Bühne gebracht, sorgte dennoch für eine glanzvolle, wenn auch streikbedingt verschobene Ruhrfestspiel-Eröffnung.
Theater auf dem Theater: Ein Loch von 500.000 Mark werde der Streik im Öffentlichen Dienst ins Budget der 46. Ruhrfestspiele reißen, beklagte sich Heyme auf einer Pressekonferenz neunzig Minuten vor der Kiss me, Kate-Premiere. Und machte dafür nicht die örtliche ÖTV-Streikleitung verantwortlich, sondern die Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies, die persönlich bei ihren Recklinghäuser Genossen interveniert habe.
Theater auf dem Theater mit virtuosem Spiel auf zwei Ebenen: In einer Broadway-Bühne soll William Shakespeares Komödie Der Widerspenstigen Zählung aufgeführt werden. Doch Produzent Fred Graham (der stattliche Oberhausener Bariton Michael Flöth) besetzt die Rolle der kratzbürstigen Katharina ausgerechnet mit seiner Ex-Gattin Lilli Vanessi (die attraktive Ursula Vincent mit ausgeprägter Blues-Röhre bringt Wiener Musical- und Berliner Revueerfahrung ein). Und den Part der jungen Bianca mit seiner neuen Flamme Ann Lane (Isabel Dörfler legt sich nach ihrer einjährigen Mutterschaftspause mächtig ins Zeug). Da muss vor und hinter den Kulissen gezähmt werden…
Heyme hat es innerhalb kürzester Frist (und Probenzeit) geschafft, eine professionelle Musical-Truppe auf die Beine zu stellen – ergänzt um hochmotivierte Ensemblemitglieder seines Essener Grillo-Theaters und sieben Studierende der Essener Folkwang-Hochschule. Leider liefert der Pina Bausch-Schüler Peter Morin nur eine konventionelle Choreographie ab, sodass wieder einmal der genreerfahrene Alfons Nowacki und seine sieben Mitstreiter im Orchestergraben den dreistündigen, höchst unterhaltsamen Abend retten. Mit fetzigen Arrangements, die einen größeren Klangkörper nicht vermissen lassen.
Nach dem Rausschmeißer-Evergreen Schlag nach bei Shakespeare durch die beiden clownesken Chicago-Ganoven aus dem Essener Grillo-Ensemble, Wolff Lindner und Jean-Pierre Cornu, gerät das (Premieren-) Publikum schier aus dem Häuschen: Ovationen für einen zwar witzigen, aber zahnlosen, klamottigen und hausbackenen, aber über volle drei Stunden bestens unterhaltenden Jux, den Heyme sich nach all den Enttäuschungen verdientermaßen gegönnt hat und dem Publikum gleich mit. Entertainment pur, freilich meilenweit von der Qualität der Essener Aalto-Produktionen wie La cage aux folles entfernt.