Als zu Jahresbeginn 1983 im Zweiten Deutschen Fernsehen zu bester Sendezeit kurz nach 18 Uhr die sieben jeweils 45minütigen Folgen der Ruhrgebiets-Serie Hans im Glück aus Herne 2 ausgestrahlt wurden, brach ein mediales Gewitter auf die durchweg arbeitslosen Laiendarsteller, mit denen Roland Gall neben wenigen Profi-Schauspielern wie Tana Schanzara gearbeitet hatte, los und der Dortmunder Kfz-Mechaniker Peter Danneberg brachte es bis zum Bravo- Titelhelden.
Er war auch der einzige unter den Laien, die das Casting-Team der Münchner Eikon Film, ein Unternehmen der Evangelischen Kirche, vor allem in den Reihen der arbeitslosen Jugendlichen fand, die bei der Jugendkunstschule in Wanne-Eickel entweder ausgebildet wurden oder ihre viele freie Zeit wenigstens einigermaßen sinnvoll verbrachten, der eine spätere Bühnenkarriere einschlug, die aber nach wenigen Rollen am Theater Dortmund unter Oberspielleiter Roland Gall (Still Ronnie) versandete.
Die Biographien der damaligen Jung-Schauspieler, denen Holger Bals und Michael Beyer in ihrer sehenswerten Dokumentation dreißig Jahre später nachgehen, weisen Karrieren auf, die abgebrochen wurden, noch bevor sie recht begannen. Mit einer Ausnahme: Petra Leineweber, die in den ersten Folgen als schwarzhaarige Freundin (und bisweilern auch Rivalin) von Ines durch die Discos geistert, fing noch während der Dreharbeiten bei Graetz an, wurde später von Nokia übernommen und erst jetzt, nach Schließung des Bochumer Handywerkes, arbeitslos.
Diese Dokumentation, zu der der Herner Willi Thomczyk, Co-Autor ab Folge vier, einen so authentischen wie klug-analytischen Kommentar beisteuert, gehört zum Bonusmaterial der von e-m-s in Dortmund produzierten und über Rough Trade in Köln vertriebenen DVD-Box Hans im Glück aus Herne 2. Die 3-DVD-Collection ermöglicht die Wiederbegegnung mit einer Kultserie, die seinerzeit so umstritten war wie die ersten Schimanski-Krimis mit dem als Schmuddel-Kommissar titulierten Götz George und die doch ungleich authentischer gewesen ist als alles, was ihr folgen sollte unter dem Label Ruhrpott.
I. Boxen aus der Emscherstraße
Was ist denn hier los? Den ganzen Tag herumlungern…! Tana Schanzara, die gute Seele der Emscherstraße und Stammgast an Erwins Bude, meint es nicht so, wenn sie Rollmöpse, Ochsenschwanzsuppe und Apfelsaft einkauft und dabei lautstark auf die Schnapsnasen schimpft. Einer, der gar nicht erst in den Kreislauf von Arbeitslosigkeit und Alkoholismus hineingezogen werden will, ist der 16jährige Hans Kolekta (Peter Danneberg), der mit seiner Schwester Hille (Hildegard Wolf) und einem kleinen Nachzügler bei der alleinerziehenden und damit häufig überforderten Mutter (Barbara Klein) lebt.
Und jetzt auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz auf seiner kleinen, stilecht mit einem Fuchsschwanz geschmückten Zündapp von Wanne bis nach Ickern fährt. Weil er unbedingt Schreiner werden will, seitdem er in jeder freien Minute im zwar kalten, aber die laute Raggae-Musik dämpfenden Kohlenkeller Lautsprecherboxen baut. Sehr gute sogar, die er für mehr als nur eine Kanne Eickel Pils an seine Altersgenossen verkauft. Es sei denn, Ines (Claudia Minervino), das Madel aus der Pommesbude, fragt nach den Früchten seiner Arbeit: Dann gibt er sie, zum Ärger der anderen, gern zum Sonderpreis ab…
II. Nach der Kirmes
Frust ist angesagt in der Kraterlandschaft einer Halde unweit Wanne-Eickels: Der Ickerner Schreiner, seine letzte Hoffnung, hat abgesagt. Auch Eickel Pils, Pommes und Currywurst bei Ines helfen nicht wirklich weiter. Kein Bock auf gar nichts, da kann der Berufsschuldirektor noch so sehr mit dem Peterwagen drohen: 17 Fehltage sind kein Pappenstiel. Doch Hans hat die Pappen dicke. Weil er immer wieder auf die Kleine aufpassen muß, wenn Muttern mit Freundinnen in der Kneipe säuft. Zum Glück hat sich sein Freund Stefan Teubel (Frank Schlosinski) angesagt, will auch bei Kolektas schlafen, nachdem ihn sein Vater einmal mehr vermöbelt hat (der übrigens von Rolf Borosch verkörpert wird, dem damaligen Leiter der Jugendkunstschule, wo ein Großteil der Laiendarsteller gecastet worden ist).
Die ganze Stadt im Cranger Kirmes-Fieber, fünfte Jahreszeit in Wanne-Eickel und Umgebung. Hans säuft mit Stefan und Bundeswehrsoldaten und beide Jungs, die ihren Rausch im Gepäcknetz eines Zuges ausgeschlafen haben und vom Schaffner nicht bemerkt worden sind, landen plötzlich weit über der ursprünglich geplanten Ausstiegs-Station Dortmund hinaus irgendwo in der norddeutschen Walachei. Wrist heißt das Kaff, aber Hamburg ist nicht weit und vor allem nicht Kiel, dort soll Thomas leben, der erwachsene und längst von daheim ausgezogene Bruder von Hans…
III. Die Reise aufs Land
Thomas ist nicht daheim, dafür dürfen die beiden in seiner Wohnung übernachten. Karin, die Freundin von Thomas, traut sich zunächst gar nicht, Hans die Wahrheit zu sagen: Sein Bruder sitzt im Knast, weil er illegal Motorräder verscherbelt hat. Die beiden genießen die Freiheit des Nichtstuns, werden dann aber doch von Karin vor die Tür gesetzt. Und schlagen sich bis zu einer idyllisch am Wasser gelegenen Ferienhaussiedlung durch. Aber auch hier ist die Ruhe bald dahin: Ein mißtrauisch gewordener Nachbar informiert die Polizei und die kassiert die beiden Jungs (Wer Wanne nicht kennt, hat ganz schön verpennt) sogleich ein: Kalte Zellen-Nüchternheit statt wärmender Lagerfeuer-Romantik. Und dann müssen die Eltern auch noch ihre verlorenen Kinder persönlich abholen: Vater Teubel wird gleich wieder handgreiflich, Mutter Kolekta wirkt völlig resigniert bis apathisch und innerlich abwesend…
IV. Aussichten
Hans ist wieder daheim. Die Familie Kolekta hat jedoch auch anderweitigen Zuwachs bekommen: Helmut, Mamas neuer Macker, hegt ernsthafte Absichten. Was den Kindern naturgemäß erst einmal heftig gegen den Strich geht. Sonst ist alles beim alten geblieben: Hans, für den die Berufsschule kein Thema mehr ist, bekommt auch über das Arbeitsamt keinen Ausbildungsplatz als Schreiner. Zimmerer ginge, auch Parkettleger, aber Hans bleibt bei seinen Lautsprecherboxen, baut sogar für die Angeber-Karre des Emscherstraßen-Playboys Gerry so ein Ding.
Helmut ist jetzt häufiger bei den Kolektas zu Besuch, aber Hans hat keinen Bock auf solchen Familien-Zuwachs. Knutscht lieber mit Ines herum, aber auch die steht ganz eindeutig auf Familie: Sie stellt Hans ihren Eltern vor und der muß die Karnickelzucht ihres Vaters bewundern. Helmut arrangiert derweil für Hans einen Ausbildungsplatz als Modelltischler in der Eisengießerei Thyssen in Duisburg. Der ist darüber so glücklich, daß er mit seiner Zündapp bis zur Theke in Ines‘ Frittenbude fährt, um mit ihr anzustoßen. Ausnahmsweise Schampus, das Eickel Pils gibts dann anner Bude. Dafür muß der Junge nun um vier Uhr aufstehen, Arbeitsbeginn sechs Uhr in Meiderich, und vor 17 Uhr sieht er die Emscherstraße nicht wieder. Was sind das für Aussichten…
V. Strafarbeit
Der Alltag schlaucht, um 4.58 Uhr verläßt der Nahverkehrszug pünktlich den Wanne-Eickeler Hauptbahnhof in Richtung Duisburg. Da bleibt für ein Federballspiel am Abend mit Ines wenig Kraft. Zumal daheim auch noch die Wohnung renoviert wird für Helmut, der schon die Hochzeitsglocken läuten hört. Nach einer Wirtshausschlägerei kommt Hans zwar mit blauem Auge davon, verpaßt aber am anderen Morgen den Zug nach Meiderich. Und fährt mit Ines lieber nach Herne zum Eislaufen.
Auf der Hauptstraße in Wanne-Mitte, direkt vor der kurzen Einfahrt zur Jugendkunstschule, enthüllt der heimische SPD-Landtagsabgeordnete Helmut Hellweg ein Arbeitslosendenkmal: Drei depraviert wirkende Leute sitzen auf einer Bank. Die Skulptur wurde von jugendlichen Arbeitslosen in der Werkstatt der Jugendkunstschule hergestellt als Gegenstück zum einst am Glückaufplatz stehenden Dreimännereck, das an die für Wanne-Eickel bedeutenden Berufe des Eisenbahners, Binnenschiffers und Bergmanns erinnert. Es war schon damals abgebaut worden zugunsten einer musealen Präsentation im Heimatmuseum an der Unser-Fritz-Straße in unfreiwilliger Analogie zu den zahllosen sehr real abgebauten Wanne-Eickeler Arbeitern unter und über Tage.
Späte Nachwehen: Hans Kolekta und Stefan Teubel werden wegen ihres Laubeneinbruchs im hohen Norden zum sozialen Dienst in einer Klinik an drei Sonntagen verdonnert. Als die Strafarbeit um ist, schmeißt Hans die Lehrstelle bei Thyssen: Er hat Siggi (Ludwig Paffrath) kennengelernt, der in einem Dortmunder Hinterhof Lautsprecherboxen baut, freilich erheblich professioneller als Hans in seinem Kohlenkeller. Das wäre für letzteren genau das richtige…
VI. Hohe Zeiten
Tana Schanzara wundert sich und guckt lange Zeit Hans nach, der auf seiner Zündapp zum Hauptbahnhof fährt, aber nicht mehr mitten in der Nacht: Nun geht es in die entgegengesetzte Richtung, nach Dortmund. Hans macht der Job bei Siggi Spaß, auch wenn es abends ‚mal sehr lang wird: 14-Stunden-Tage sind keine Seltenheit. Aber da Helmut nun daheim eingezogen ist, wofür seine Schwester Hille ihr Zimmer räumen mußte, ist es für Hans kein Problem, häufiger in Dortmund zu übernachten oder bei seinem Freund unter hübsch-häßlichen Pop-Art-Mustertapeten in der Eickeler Martinistraße.
Andererseits: da war doch noch ‚was? Lange hats gedauert, mit Ines, aber nun könnten sich beide vorstellen, auf Dauer und mit Trauschein das Kopfkissen zu teilen in einer kleinen, aber gemeinsamen Hütte in der Biermetropole, wo sich das U unweit des Hauptbahnhofes noch nicht aus rein nostalgisch-musealen Gründen drehte. Nach der ersten Hochzeit der Alten wird bei Kollektas schon die nächste vorbereitet. Und Ines wechselt von der eher gemütlich-gemächlichen Wanner Pommesbude in den fordernden Schichtdienst der McDonalds-Filiale am Westenhellweg…
VII. Umzüge
Die Kamera Axel Brandts schwenkt nun erstmals nicht mehr von der Emscherschnellweg-Brücke auf die aus der Vogelperspektive gezeigte Emscherstraße mit obligatem Eiswagen und Erwins Bude als gesellschaftlichem Mittelpunkt (wo die Lindenstraße, Deutschlands erfolgreichste TV-Serie wahrscheinlich aller Zeiten, ihre Anregungen geholt hat, ist allzu offensichtlich, was hier aber gar nicht kritisch angemerkt wird, im Gegenteil: Das adelt die Hans im Glück-Macher nachträglich), sondern geht gleich in die Vollen beim Badespaß an der Ruhr: Hans, der frischgebackene Ehemann, läßt Fünfe gerade sein und Gattin Ines daheim in Dortmund schmollen.
Wieder zurück in der Großstadt steht Hans im wahren Wortsinn vor der Pleite: Siggi ist mit seiner illegalen Boxenschmiede aufgeflogen, die Steuerfahndung verordnet eine mehrmonatige Zwangspause. Kein Job, keine Ausbildung da gehts ans Eingemachte. Fertige Boxen werden unter Wert verscherbelt, das nun viel zu teure Auto wie Sauerbier angeboten und die Dortmunder Wohnung aufgegeben. Doch Hans will nicht bei den Eltern seiner Gattin leben, zieht lieber bei einem Kumpel vom Bau ein und verdient sich seinen Lebensunterhalt beim Verlegen von Eisenbahn-Schienen und -Schwellen.
Ein allzu harter Knochenjob für Hans, der lieber mit einem nun ebenfalls arbeitslosen ehemaligen Dortmunder Kollegen an der Ecke Emscher-/Georgstraße eine eigene Werkstatt zum Bau von Lautsprecherboxen aufmachen will. Selbst Ines, die ihrem Gatten den Stuhl vor die Tür gestellt hat, läßt sich dazu bewegen, einen Blick auf die Baustelle zu werfen…
Renke Korn, Willi Thomczyk (Buch), Roland Gall (Buch und Regie)
Hans im Glück aus Herne 2
Eikon Film München, Jörg Schneider Prod. c/o ZDF Deutschland 1980-82