Daß Michael Oher (überzeugt in seiner ersten großen Leinwandrolle: Quinton Aaron) einmal als ein nationaler, von der West- bis an die Ostküste der USA umjubelter Football-Star enden würde, war dem großgewachsenen und eher tapsigen farbigen Teeanger wahrlich nicht in die Wiege gelegt. Ohne den früh gestorbenen Vater aufgewachsen in Hurt Village, dem heruntergekommenen Armen- und folgerichtig auch Schwarzen-Viertel von Memphis/Tennissee, hätte der Sohn einer drogenabhängigen, immer wieder straffällig werdenden Mutter nicht einmal an den Besuch eines College denken können.
Sondern wäre wie alle Jugendlichen des Quartiers entweder als Hilfsarbeiter in einem Restaurant gelandet wie sein Bruder, den er seit frühester Kindheit nicht mehr gesehen hat, oder gleich abgerutscht ins Milieu der Schieber und Drogendealer wie seine Spielkameraden von einst, die auf Park- und Spielplätzen abhängen, wenn das Kleingeld nicht für ein Bier in einer schmuddeligen Bar, die man so eher in der Dritten Welt vermutet hätte als im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, reicht.
Doch Michael hat Glück: Als er den Sohn eines farbigen Automechanikers, der sein Kind an der Wingate Christian School anmelden will, auf den Schulhof begleitet und sich die Zeit mit Basketball vertreibt, wird der Football-Coach Cotton (Ray McKinnon) auf Big Mike, wie er ihn künftig nennen wird, aufmerksam. Ein Elefant, der gleichzeitig eine Ballerina sein muß: So einer hat ihm immer vorgeschwebt in der Left Tackle-Position zum Schutz seines rechtshändigen Quaterbacks. Und er macht sich mit aller Kraft daran, diesen Rohdiamanten zu schleifen.
Der schweigsame, in sich gekehrte Big Mike ist nicht nur seiner Hautfarbe wegen der krasseste Außenseiter, den dieses sich christlich nennende Institut jemals aufgenommen hat: Seine schulischen Leistungen sind unterirdisch, sein soziales Verhalten vom steten Ausgegrenztsein durch seine Schulkameraden geprägt und auch auf dem Spielfeld macht er seinem Spitznamen keine Ehre: Ein Riesenbaby, das niemandem schaden will und daher seine Kraft nicht einsetzt.
Und keine Besserung in Sicht. Praktisch obdachlos, ernährt er sich von Speiseresten aus der Mensa und dem Inhalt weggeworfener Popcorn-Tüten bei Sportveranstaltungen. Michael nächtigt in der Turnhalle, nachdem er sein einziges T-Shirt gereinigt hat im Handwaschbecken des Automatensalons. Da muß ihm Leigh Anne Tuohy (verdienter Oscar für Sandra Bullock als zielstrebige Familienmanagerin) wie die gute Fee aus den Märchen, die ihm daheim vorenthalten worden sind, vorgekommen sein: Die Mutter von seinem schmächtigen Klassenkameraden Sean Junior, genannt SJ (großartiges Leinwand-Debüt: Jae Head), liest den völlig durchnäßten Jungen, der mitten in der Nacht bei winterlicher Kälte nur in kurzen Hosen und einem T-Shirt bekleidet im dunklen Wald unterwegs ist, förmlich von der Straße auf.
Es bleibt nicht bei einer Nacht in der großzügigen Villa der Tuohys, weil der sanfte, liebenswerte Michael allein durch seine Anwesenheit dafür sorgt, daß sich die republikanisch-konservative Familie um den einstigen Sportstar und heute sehr erfolgreichen Geschäftsmann Sean Tuohy (Country-Star Tim McGraw der ruhende Pol neben dem Energiebündel Sandra Bullock) wieder auf sich selbst besinnt: An Thanksgiving sind alle, komplettiert um die zunächst reichlich zickige Tochter Collins (noch ein ansehnliches Debüt: Lily Collins), um die große Tafel versammelt, es wird ein Tischgebet gesprochen und der Fernseher bleibt ausgeschaltet.
Da brauchen wir erst einen schwarzen Sohn, um eine Demokratin kennenzulernen: Miss Sue (Kathy Bates) wird als Tutorin engagiert, um Michael für die anstehenden Prüfungen vorzubereiten. Bald reißen sich die Football-Manager aller bedeutenden amerikanischen Universitäten um diesen unvergleichlichen Left Tackle…
Mit Blind Side erzählt John Lee Hancock im Grunde zwei typisch amerikanische Geschichten. Die eine handelt vom Aufstieg des farbigen Teenagers Michael Oher, diesmal nicht vom Tellerwäscher zum Multi-Millionär, sondern vom farbigen, eltern- und obdachlosen Underdog zum geachteten Mitglied einer wohlhabenden, traditionell erzkonservativen weißen Südstaaten-Familie. Die andere handelt von eben dieser Familie, bei der sich alles nur um Football drehte, bis Michael Oher in ihr Leben trat mit großen Augen des Erstaunens über so viel Luxus und noch größerer Dankbarkeit für die ihm so vorbehaltlos entgegengebrachte menschliche Wärme.
Hancock erzählt diese beiden Geschichten naturgemäß nicht kitschfrei, da sei das kommerzielle Hollywood vor. Aber er macht kein Melodram aus diesem im übrigen ganz realen Märchen, dessen Authentizität historische Aufnahmen im Abspann eindrucksvoll belegen. Die Film-Bilder stammen im übrigen von Alar Kivilo und der Soundtrack von Carter Burwell, beide haben keinen geringen Anteil an diesem in positivem Sinne zu Herzen gehenden Drama. Dessen Name zwar aus dem Football-Sport stammt und den toten Winkel eines rechtshändigen Quaterbacks meint, den der Left Tackle abzudecken hat, sich natürlich aber ganz auf die Familie Tuohy bezieht, die Michael Oher so ergänzt wie das letzte noch fehlende Teil eines Puzzles.
John Lee Hancock (Buch und Regie) nach dem Bestseller The Blind Side: Evolution of a Game von Michael Lewis
Blind Side Die große Chance (The Blind Side)
Alcon Entertainment, Gil Netter/Andrew A. Kosove/Broderick Johnson Prod. – USA 2009