Sie würde gerne am Meer sitzen und Wein trinken, von der Sonne geküßt. Doch ihr Gatte bekommt schon einen Kulturschock, wenn er mehr als 20 km von Zuhause entfernt ist. Früher haben sie zusammen gelacht, viel gelacht. Heute sind die Kinder aus dem Haus und so zieht Shirley Valentine Bilanz zwischen Herd und Kühlschrank. Die Mittvierzigerin erzählt von Spiegeleiern mit Fritten, einem nur scheinbar vegetarischen Bluthund, von Einkaufsritualen und Regengüssen, dem richtigen und falschen Orgasmus, dem Sohn Brian und der Tochter „M.“ – und notgedrungen auch vom Ehemann Joe. Sucht sie wirklich ihr Rezept für den Neuanfang – nach all’ den Jahren?
Die Herner Schauspielerin und „Theater 56 Karat“-Prinzipalin Susanne Dieterich, der zuletzt an der Seite der Kölnerin Elke Welzel mit „Titanic“ ein fulminanter Dauerbrenner-Erfolg in der Flottmannkneipe gelang, hat den „Strünkeder Sommer 2009“ mit Willy Russels Klassiker „Shirley Valentine oder: Die heilige Johanna der Einbauküche“ eröffnet in einer ganz dem genius loci huldigenden Inszenierung der jungen Kölnerin Joby Joppen.
Shirley Valentine, bisher vielbeschäftigte Hausfrau und Mutter, ist nun, da die beiden erwachsenen Kinder aus dem Haus sind, nur noch mit einer Frage beschäftigt, die jede(n) irgendwann einholt: Was tun mit dem eigenen Leben? Zumal die Liebe nur noch Erinnerung ist an das, was sie irgendwann gemeinsam mit Joe wollte und dann doch nicht erreicht hat. Was bleibt von den Träumen und Hoffnungen auf das kleine Stück Glück? Was tun, wenn einem die Überzeugung, ein Anrecht auf dieses Glück zu haben, langsam durch die Finger rinnt? Wenn man erkennt, daß einem mittlerweile schon auf dem Bürgersteig schwindelig wird, obwohl früher der Sprung vom Dach nie zu hoch war?
Daß Shirley ausgerechnet jetzt Bilanz zieht und erzählt von den Widerständen der Jugend, von der gelb gestrichenen Küche und den zwanzig Ehejahren mit Joe, hat einen Grund: Ihre Freundin Jane ist über Nacht zur Feministin mutiert, seit sie ihren Gatten inflagranti mit dem Milchmann im Ehebett erwischt hat. Und offeriert Shirley nun zwei Wochen Griechenland, all inclusive. Wie das nun Joe beibringen, der gewohnt ist, auf die Sekunde genau täglich seine Mahlzeit vorgesetzt zu bekommen?
Shirley, die Praktikerin, übt schon ’mal, wie sie ihm verklickern kann, daß dies der Herd und das die Waschmaschine ist, und daß es besser ist, die beiden nicht zu verwechseln, weil es sonst Socken auf Toast gibt. Dabei hat auch Shirley einige Probleme, mit der für sie völlig neuen Situation einer Reise und noch dazu in den sonnigen Süden fertig zu werden. Tochter M. ist ihr dabei keine Hilfe indem sie meint, daß ein Griechenland-Urlaub natürlich Sexorgien bedeutet und daß das ekelhaft ist – in ihrem Alter. Aber die Nachbarin bringt wundervolle Seidenwäsche vorbei und um vier Uhr in der Frühe steht der Taxifahrer vor der Tür…
Susanne Dieterich hat sich mit ihrem Theater 56 Karat der Idee verschrieben, Stücke für „spezielle“ Orte zu inszenieren Mit „Titanic“ ist ein beeindruckendes Debüt gelungen, das seit der Premiere 2005 im ganzen Rhein-Ruhr-Gebiet u.a. auf Schiffen, in der Gastronomie, in Eingangshallen und auf Ausstellungen mit großen Erfolg gespielt wird. Nun folgt mit „Shirley Valentine“ eine zweite Produktion mit vergleichbarem Potential, auch wenn nicht überall solche kongenialen Aufführungsorte zur Verfügung stehen wie Kaminzimmer und Innenhof des Strünkeder Wasserschlosses.
Denn bei Willy Russels auch verfilmtem Klassiker mit „Oscar“-Nominierung für den 1947 geborenen Liverpooler, dessen Stück „Hirsche und Hennen“ vor Jahren am Schauspielhaus Bochum zu sehen war, folgt die Kölner Regisseurin Joby Joppen der Reise der Hauptperson. Die erste Stunde wird im Raum gespielt, hier dem Kaminzimmer des Strünkeder Schlosses. Nach einer kleinen Pause geht es draußen weiter, Griechenlands Strand wird sozusagen in den Herner Schloßpark verlegt samt Gänsegeschnatter und Entengeflatter. Und wenn Shirley mit Costa Arkadien entdeckt und sich neu verliebt in das Leben, genießt das Publikum die ungewöhnliche Atmosphäre unterm Sternenhimmel und das kulinarische Angebot des Schollbrockhaus-Cafes.
Herne liegt am Meer! Susanne Dieterich schlüpft binnen zweier Stunden, die wie im Fluge vergehen, in sämtliche Rollen und die des Erzählers noch dazu. Das ist komisch und berührend zugleich, selbstironisch und vor allem sehr mutig. Und virtuos gespielt, aber mehr als nur Routine für die John Costopoulos-Schülerin am New Yorker Actor’s Studio: Susanne Dieterich ist Shirley Valentine, und das inmitten des vierzigköpfigen Publikums. Mehr Plätze stehen im Strünkeder Kaminzimmer nicht zur Verfügung, weshalb man für die Folgevorstellungen rasch buchen sollte unter Tel. 02323/162611: Vom 22. bis 24. Mai, 12. bis 14. Juni sowie 24. bis 26. September. Bei Regen können übrigens beide Teile im Schloß gespielt werden.