Die Berichterstattung aus der Bundeshauptstadt allein, konstatierte kürzlich Dieter Hildebrandt, sei schon Satire. Mit Posse und Schwank ist tatsächlich so manches Ereignis unserer Tage zu umschreiben. Die klassischen Schwankfabrikanten Franz Arnold & Ernst Bach schrieben schon 1928 einen Schwank, der in einem Ministerium spielt. Und "fidele Zustände" scheinen auch in diesem aus Tarnungsgründen nicht näher bezeichneten Ministerium zu herrschen: Ministerialdirektoren, Ministerialräte, Oberregierungsräte, Regierungsassessoren führen offenkundig ein Doppelleben. Aber einer nimmt die politischen Forderungen der parlamentarischen Abgeordneten Haubenschild ernst: Regierungsrat Dittchen steigert sich zum "Erzengel Gabriel", der mit einem flammenden Untersuchungsbericht alle Täuschungsmanöver entlarvt - und dennoch Karriere macht. Der Ort der Handlung ist natürlich B.
Hermann Beil, Dramaturg
Eine satirische Auseinandersetzung mit der geistig-moralischen Bonner Wende, die ja schon beinahe in die Jahre gekommen ist, war angesagt am 18. Oktober 1985 im Schauspielhaus Bochum: Brecht-Spezialist Alfred Kirchner inszeniert - und das auf ganz famose Weise, bei der Tempo und Timing auf den Punkt genau stimmen - den Dreiakter "Weekend im Paradies" aus der Schwank-Fabrikation von Franz Arnold und Ernst Bach.
Bei diesem Autorenpaar aus Berlin und München freilich, das in der Zwischenkriegszeit jährlich ein Erfolgsstück für den Boulevard lieferte, mußte man schon stutzig werden: Arnold & Bach? Ist das nicht Flatows Kudamm-Theater und Milowitschs Kölsche Bühne? In der Tat, der Schwank "Weekend im Paradies" war 1928 in Berlin uraufgeführt worden. Damals, und das wird im Bochumer Programmheft gegenüber einer George-Grosz-Karikatur herausgehoben, merkte Kurt Pinthus in seiner Rezension an, daß "diesmal die Schwankverwirrungen vor aktuellem, ja satirischen Hintergrund" spielen.
Ist das fast sechzig Jahre später im Bonn der Kohl-Ära auch so? Wo doch der wiedererwachte Kabarettist Dieter Hildebrandt erst kürzlich zu Protokoll gab, die Berichterstattung aus unserer Bundeshauptstadt allein sei schon Satire und mache einen wie ihn eigentlich arbeitslos.
In einem bei Arnold & Bach notabene Berliner Ministerium herrschen fidele Zustände. Ministerialdirektoren, Oberregierungsräte, Assessoren und das sonstige gutbezahlte Beamtentum führt offenkundig ein Doppelleben. Nach Feierabend geht es 'raus zum Schnakensee, mit oder ohne Badehose, in jedem Fall aber mit Doppelzimmer im "Hotel zum Paradies", denn da nimmt man es nicht so ernst mit dem Ausfüllen von Meldescheinen.
Regierungsrat Dittchen (vom lieben Trottel zum ausgebufften Karrieristen: ein überragender Manfred Karge), von der moralinsauren Parlamentsabgeordneten Adele Haubenschild (dauerempört: Anneliese Römer) und Kriminalwachtmeister Seidel (frustrierter Trunkenbold: Hans-Dieter Knebel) im wahren Wortsinn aufrecht unterstützt, will endlich für Ordnung sorgen in diesem Sündenbabel. Schließlich steht ein neuer Ministerialdirektor ins Haus, außerdem will sich Dittchens ehrgeizige Frau Hedwig (Lore Brunner) endlich mit einem Avancement ihres Gatten schmücken, der wie schon die zwölf Jahre zuvor bei der letzten Beförderungsrunde einmal mehr übergangen worden ist.
Es wird kräftig aufgeräumt in diesem zwielichtigen Etablissement, das in Gero Troikes Bühne aus einer hellen, lichten Halle und zwei eher schmuddeligen Zimmern besteht, welche, wie sich zum Schrecken des tüchtigen Beamten herausstellt, von allerhöchsten Kreisen frequentiert werden. Und natürlich nie mit der Ehefrau im Lotterbett. Ist es da ein Wunder, daß Dittchen innerhalb von Stunden avanciert bei gleichzeitigem atemberaubenden Schrumpfungsprozeß der "Akte Paradies"?
Eine furiose Kirchner-Inszenierung, die in der Zeit der Entstehung des Stücks angesiedelt ist (Kostüme: Joachim Herzog) und nur so vor situationskomischen Effekten strotzt. Wieder einmal beweist das das Bochumer Ensemble seine Spitzenstellung im deutschsprachigen Raum: Gottfried Lackmann als mit nervösen Gesichtszuckungen kämpfender notgeiler Oberregierungsrat von Giersdorf, Kirsten Dene als sich mondän gebende Gattin des Polizisten Seidel, Traugott Buhres Ministerialdirektor als geheimnisvoller, sich aber sehr selbstironisch-lüstern gebender Lebemann "Lehmann" und als Gast in der Rolle des Ministarialrats Breitenbach Hans-Peter Korff (gerade in Claus Peter Witts neuer ZDF-Serie "Diese Dombruschs" auf dem Bildschirm zu erleben).
Wo gibt es für einen Schwank der Güte Arnold & Bach eine solche Klassebesetzung? Und die sorgt dafür, daß daraus keine Klamotte wird. Auch ohne die zuvor vollmundig angekündigte "Wende-Satire", von der auf den Bochumer Brettern überhaupt keine Spur zu entdecken ist. Da muß man schon das Programmbuch zur Hand nehmen, in dem Dramaturg Hermann Beil notiert: "'Weekend im Paradies' ist ein Stück über eine moralische Wende. Wie diese Wende stattfindet, ist allerdings ein Schwank."
Schön gesagt. Aber da war doch noch 'was zu Beginn der Aufführung? Richtig, zum Video des allabendlichen TV-Sendeschlusses eine verzerrt-plärrende Nationalhymne. Warum darf man sich eigentlich im Bochumer Parkett nicht 'mal unbeschwert-boulevardesk freuen? Dabei hatte Hermann Beil doch im Pressevorgespräch noch versprochen: "Wir wollen zum Abschied noch einmal auf die Komödienpauke hauen."
Haben sie ja dann auch getan an der Bochumer "Kö". Wer knapp zwei Stunden Zwerchfellmassage vom Feinsten betreiben möchte dank eines bis in die kleinsten Nebenrollen exzellenten Ensembles, zu nennen etwa noch Ulrich Wesselmann als in jeder Hinsicht biegsamer Assessor Winkler, Andrea Clausen als kleine, durchtriebene Sekretärin, die auf hohen Absätzen nach Höherem strebt, und Sylvester Schmidt, der sein 40jähriges Bühnenjubiläum als Bürodiener Wuttke feiert, hat dazu allerdings nur nach rechtzeitiger Kartenvorbestellung Gelegenheit: "Weekend im Paradies" füllt das Große Haus stets bis auf den letzten Platz.
Pitt Herrmann
Franz Arnold und Ernst Bach
Weekend im Paradies
Schauspielhaus Bochum