"Der Körper Der Kopf Der Körper" ist ein Traktat über die Relationen zwischen Kopf und Körper, vorgestellt in der Begegnung der Disziplin Tanz und Theater, auf deren Bühne Kopf und Körper an und für sich als plastische Elemente einer Raumskulptur zu entdecken sind. Am Kopf, dem Organ der Sprache in der Verkörperung des Schauspielers, wird das Sprechen als Darstellungsvorgang untersucht; am Körper, dem Organ des Raumes in der Gestalt des Tänzers, werden die Koordinaten von Bewegungsabläufen sichtbar.
Urs Troller
Der achtzigminütige Abend, der am 21. Juni 1992 seine Bochumer Premiere in den Kammerspielen erlebte, ist eine surreale Kopfgeburt. Das einmal vorweg. Das Publikum ist von Urs Trollers Tanztheater-Experimenten ja schon einiges gewohnt, empfand dieses aber mehrheitlich als Zumutung, und die ohnehin nicht komplett gefüllten Parkettreihen lichteten sich vorzeitig erheblich.
In der Konfrontation des Sprechenden/Artikulierten gehört zur Gestalt des Kopfes die Plastik der Sprache, in welcher der Kopf dem Körper zum Phantom wird, wie entsprechend am Körper Denkfiguren zur Darstellung kommen, die sich anders nicht artikulieren lassen.
Urs Trollers "Traktat über Relationen zwischen Kopf und Körper, vorgestellt in der Begegnung der Disziplin Tanz und Theater" fußt auf Daniel Paul Schrebers (1842 bis 1911) "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken", die u.a. Sigmund Freud als autobiographisch beschriebener Fall von Paranoia interessierten. Diese "Denkwürdigkeiten" wurden zu einem der berühmtesten Texte in der Psychiatrie und in der Psychoanalyse, mit dem sich u.a. auch Elias Canetti, Carl Jung, Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Felix Guattari auseinandergesetzt haben.
Aber eignen sie sich wirklich dazu, von einem Kopf (Georg Martin Bode) auf der ganz in Blau gehaltenen Bühne von Lilot Hegi in Beckettscher "Glückliche Tage"-Manier pausenlos vorgetragen zu werden? Reicht das Spannungsfeld zwischen Text und Choreographie, die der Tänzer Marius van Lee eher verhalten zum Ausdruck bringt?
In der Versuchsanordnung von Tanz- und Sprechtheater soll nicht abermals, wie in den philosophischen und wissenschaftlichen Diskursen, die Dualität von Geist und Körper ausgestellt werden; vielmehr die Duplik beider in einem Parallelprozeß zur Anschauung kommen: in einem "Gespräch" über Kopf und Körper.
Wenn man als Zuschauer nicht nach wenigen Minuten des Unverständnisses total abschaltet, kann man Urs Trollers "Traktat" als ästhetisches Gesamtkunstwerk annehmen. Dann hätte der Schauspieler freilich auch aus einem Telefonbuch vorlesen können. Zusammen mit Ronald Steckels Klangteppich ergibt sich nämlich ein durchaus reizvolles Bildertheater, für das in erster Linie der für das Licht zuständige Markus Misch verantwortlich zeichnet.
In Lilot Hegris in ein tiefes Blau eingehülltem unregelmäßigen Bühnen-Achteck steht im Hintergrund ein Stuhl, der als Requisit für die Choreographie keine Bedeutung erlangt, wohl aber für die ästhetisch ausgewogene Komposition des Bühnenbildes. Der Stuhl steht, ein surreales Bild, auf feinen, nur vorn aus den ersten Parkettreihen erkennbaren feinen (Metall-?) Stiften, er scheint über den Brettern zu schweben.
Links am Rand ein gespannter Bogen, einer Angelrute gleich, deren ausgeworfene Rute eine Diagonale zu Georg-Martin Bode bildet, dessen Kopf wie bei Samuel Beckett aus dem Bühnenboden ragt - und zwar nur der. Die Lichtwechsel von blauen zu grauen und immer wieder satten violetten Tönen unterstreichen Stimmungen, die zumindest ich nicht in Verbindung zum Schreber-Text zu bringen vermag. So entsteht der Eindruck einer rein ästhetisch-artifiziellen Beliebigkeit. Zumal mir der Sinn verschlossen geblieben ist: "Wovon man nicht sprechen kann", sagt der Philosph Ludwig Wittgenstein, "darüber muß man schweigen."
Pitt Herrmann
Urs Troller nach "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" von Daniel Paul Schreber
Der Körper Der Kopf Der Körper
Hebbel-Theater Berlin und Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele