Meine Intention war es, absolut wahrhaftig über Mißbrauch und Gewalt zu schreiben. Die logische Konsequenz aus der Haltung, die eine einzige Vergewaltigung in England hervorruft, ist das Vergewaltigungslager in Bosnien. Und die logische Konsequenz aus der gesellschaftlichen Erwartung, wie Männer sich verhalten sollten, ist Krieg.
Sarah Kane
Der Krieg der Geschlechter in Kombination mit dem Gemetzel auf dem Balkan: Ein Mann und eine Frau, ein mondänes Hotelzimmer in der mittelgroßen englischen Stadt Leeds. Ian (Steve Karier) ist Reporter. Mitte Vierzig, schwer krank, ein Wrack mit halber Lunge. Cate (Elena Meißner) ist jung, fast noch ein Kind, in fragwürdigem psychischen Zustand, sein letzter Halt. Sie sucht Nähe, er will mit ihr schlafen. Alkohol, Streit, Sex, Bewußtlosigkeit, Kampf, Liebe, Psychoterror. Ohne Vorwarnung tobt plötzlich draußen auf der Straße der Krieg. Ein Soldat (Peter Jordan) betritt das Zimmer...
Sarah Kane, 1971 in Essex geboren, debütierte im Alter von 23 Jahren mit "Blasted" ("Zerbombt") am Royal Court Theatre London als Dramatikerin - und löste einen der größten Theaterskandale Großbritanniens aus. Zu ihren prominenten Verteidigern gehörte der Skandal-Altmeister Edward Bond ("Gerettet"), der die studierte Theaterwissenschaftlerin mit Georg Büchner ("Woyzeck") verglich. Dieser starb mit 24 Jahren - Sarah Kane nahm sich Anfang 1999 im Alter von 28 Jahren in einem Londoner Krankenhaus das Leben.
"Vielleicht ist jenes zerbombte Hotelzimmer der symbolische Ort dessen, was wir Zivilisation nennen", so Regisseur Uwe Dag Berlin im Vorgespräch seiner Inszenierung, die trotz reichlich Gewalt und Blut ganz ohne grelle Effekte auskommt und mit der das Schauspielhaus Bochum, Premiere war am 16. April 1999 im ZadEck, an den Shooting Star der zeitgenössischen britischen Dramatik erinnert. "Wenn die materielle Existenzgrundlage zerbricht, erhebt die Barbarei ihr spirituelles Haupt." Aber auch die folgenden Premieren an der Bochumer "Kö" können in diesem Zusammenhang gesehen werden: Stefan Mayer bringt Büchners "Leonce und Lena", Leander Haußmann Bonds "Das Verbrechen des 21. Jahrhunderts" heraus, das der Autor posthum seiner Freundin Sarah Kane gewidmet hat - als Uraufführung.
Love, Pain & Death: Sarah Kane zeigt in ihrem schmal gebliebenen Oeuvre psychische und physische Gewalt auf der Bühne, grausame Härte, die kausal nicht erklärbar ist. Ihre Figuren sind Opfer und Täter zugleich. Sie sind einer lebensfeindlichen Welt ausgesetzt und erleben den Zusammenbruch der Zivilisation.
In "Zerbombt", das in einem Hotelzimmer der englischen Provinzstadt Leeds spielt (Bühne: Tina Klietz, Kostüme: Ute Lindenberg), treffen der an Lungenkrebs erkrankte Journalist Ian (Steve Karier mit unglaublicher Unmittelbarkeit) und ein blutjunges Mädchen, Cate, das einmal seine Geliebte gewesen ist, aufeinander. Ian heuchelt seine Liebe, beutet ihr Mitleid aus, vergewaltigt sie, als sich Cate verweigert.
Am anderen Morgen verschwindet sie und ein Soldat betritt das Zimmer. Draußen in der Stadt tobt ein Bürgerkrieg (Sarah Kane nahm den Bosnienkonflikt zum Anlaß ihres Stückes) und der Soldat berichtet von grausamen Folterungen, bis er an Ian das vollzieht, was dieser zuvor Cate angetan hat.
Cate kehrt in das Zimmer zurück: der Soldat, der zuvor seinem unbekannten Gegenüber die Augen ausgebissen hat, hat sich erschossen. Sie hat ein Baby auf dem Arm, das wenig später stirbt. Es dient dem Geblendeten, Höhepunkt der Abfolge makabrer und nur schwer erträglicher Szenen binnen zweier pausenloser Stunden im Bochumer ZadEck-Keller, als Nahrung in seinem im wahren Wortsinn blindwütigen Überlebenswillen.
Pitt Herrmann
Sarah Kane
Zerbombt (Blasted)
Schauspielhaus Bochum, ZadEck