Eigentlich wollte ich den "Hauptmann von Köpenick" machen. Aber selbst wenn wir siebzig Prozent des Stückes gestrichen hätten, hätten wir am Schauspielhaus nicht genug Leute dafür gehabt.
Uwe Dag Berlin
Gerhart Hauptmann war 28 Jahre jung und glühender Ibsen-Verehrer, als er 1890 das Drama "Einsame Menschen" verfaßte, das rasch als Jugendsünde voller Jahrhundertwende-Schwulst in den Schubladen der Dramaturgien verschwand. Dabei, das zeigte Leander Haußmann Mitte der Neunziger Jahre an der Berliner Volksbühne (mit einer sensationellen Kathrin Angerer), weist es eine bis heute zeitlos-klassische Konstellation auf: ein Mann zwischen zwei Frauen. Ende November 1998 hat Uwe Dag Berlin "Einsame Menschen" unter Leander Haußmanns Intendanz in Bochum herausgebracht.
Johannes Vockerath (gelungenes Bochumer Debüt für Martin Olbertz), Naturwissenschaftler und angehender Autor, ist mit der schönen, ihm intellektuell jedoch nicht gewachsenen Käthe (umjubelt am Premierenabend: Annika Kuhl) verheiratet. Beide leben, auf Kosten der Eltern (bigottes Paar: Henning Orphal und Renate Becker), in einer Villa am Berliner Müggelsee.
Johannes' Freund, der Maler Braun (völlig überzogen: Peter Jordan), bringt die weltgewandte Studentin Anna Mahr (Annemarie Knaak-Tiefenbacher als Gast) ins Haus. In ihr findet Johannes die lang ersehnte Geistesverwandte, doch das Dreieck abseits bürgerlicher Moral, eine Frau fürs Kind, eine für den Kopf, mündet in einer Katastrophe: Anna Mahr reist ab, Johannes ertränkt sich im See und Käthe endet im Wahnsinn.
Leander Haußman gewann der Vorlage drei Jahre zuvor durch entschiedene Entschlackung, Halbierung des Figurenarsenals und einen souveränen Umgang mit Hauptmanns Personal, das er entgegen der Art der Castorf-Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz keineswegs der Lächerlichkeit preisgab, ungewöhnliche Facetten ab in einer heiter-entspannten Atmosphäre.
Uwe Dag Berlin denunziert dagegen das Stück als olle Schwarte, um es gehörig aufzupeppen. Episodenrollen wie die des Pastors (Heiner Stadelmann) und der Wirtin (Tana Schanzara) erhalten breiten Raum, das neugierig-renitente Hausmädchen (Elena Meißner) geistert als running gag über die Bühne Hamster Damms, die hinzuerfundene "Grünfrau" (Jenny Meyer) als Pausenclown durchs Parkett.
Verzichtbar nicht nur zahllose Gags (Papa Vockerat schlägt Braun ans Kreuz, durchs leuchtende Votivbild laufen Jogger in Loriot-Manier, in den Müggelbergen wird Wein geerntet wie Kreuzberger Sauerampfer), sondern auch die penetrante Selbststilisierung ("Alles was uns fehlt ist die Solidarität"): die "Einsamen Menschen" sind die Bochumer Theaterleute, die nach dreieinhalb Stunden nicht nur ins rote Höllenfeuer der Unterbühne blicken, während hinter ihnen die Kulissen in Flammen aufgehen, sondern auch auf erschreckend viele leere Plätze im Parkett - und das bei einer Premiere an einem Freitagabend!
Pitt Herrmann
Gerhart Hauptmann
Einsame Menschen
Schauspielhaus Bochum