Nicht für 'ne Politikerpension möchte ich auf diesen Spaß verzichtet haben.
Fabian in: „Was ihr wollt“, Neuübersetzung von Reinhard Palm für das Schauspielhaus Bochum
„Was ihr wollt“, zwischen 1600 und 1602 entstanden, gilt als die letzte „romantische Komödie“ Shakespeares, als Summe und zugleich Höhepunkt der Motive, Themen und Situationen seiner frühen Komödien: Schein und Sein, Dreieckskonstellationen, sprachliche Mehrdeutigkeiten, Täuschung und Selbsttäuschung, seelische Verirrungen, komische Nebenfiguren. Und vor dem Hintergrund des glücklichen Endes ein Shakespeare in betont übermütig-festlicher Atmosphäre.
Davon ist Mitte März 1989 in der vierstündigen Inszenierung Andrea Breths am Schauspielhaus Bochum aber auch gar nichts übrig geblieben. Der Narr des Peter Roggisch ist traurig bis zur Melancholie, das Ende ist an der Königsallee alles andere als happy. Zwar finden die Paare zueinander, aber ihre Ideale, ihre Träume verwirklichen sich nicht. Müde reichen sie sich kurz die Hände, die Koffer sind bereits gepackt. Und Malvolio nimmt resigniert Abschied aus dieser verkehrten, kalten, unmenschlichen Welt.
Peter Roggisch als Feste, Olivias Narr, betritt als Penner mit einer Lampe in der Hand das Parkett, wuchtet sich auf die Rampe und öffnet, auf Englisch etwas von „Schnee“ und „Zeitungen“ vor sich hin flüsternd, den Vorhang zu Gisbert Jäkels bilderreicher Schau-Bühne. Der Blick wird frei für eine psychedelische Szenerie. Wie Gurus in Trance bewegen sich die Figuren des Elisabethaners in einer „Landschaft“ aus Wellen und Kissen: die Zeiten des Wassermanns scheinen wieder angebrochen zu sein, das Musical „Hair“ erlebt gerade eine Renaissance auf den Bühnen der westlichen Welt.
Wolfgang Michael, als Orsino, Herzog von Illyrien, auf dem Besetzungszettel angekündigt, spricht als Pop-Guru Wassermann mikroportverstärkt die Anfangsverse aus dem Fauteuil: „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist...“ Dann steigt er hinein in die Welt der Verklärten, die nur durch eine schmale Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ sichtbar wird.
Susanne Raschig hat ganze Arbeit geleistet: Alles ist Theater, die Kunst-Figuren stecken in Kunst-Garderoben und Kunst-Roben, tragen Kunst-Frisuren. Und dann der „Sturm“-Theatercoup: Viola (die anmutige Annelore Sarbach wird bei zunehmender Identitätskrise zur Schmerzens-Jungfrau) landet zwischen aneinandergereihten scharfen Wellenkronen, in denen sich auch ein Delphin tummelt, im Orchestergraben zwischen Bühne und Parkett. Szenenapplaus brandet auf.
Nun erweitert sich der Blick auf eine Sitzmöbel-Landschaft aus Polstersesseln der 50er und 60er Jahre. Das ist wieder chic, die jungen Designer haben die Erzeugnisse der Vätergeneration wiederentdeckt. In diesem Environment wirbelt mit Nicole Heesters als Olivias Kammerzofe Maria einmal nicht die Grande Dame des Bochumer Ensembles, sondern ein intrigantes Luder. Und die Olivia der Andrea Clausen ist eine kühle Schönheit, der man Gefühle, die über die reine Selbstliebe hinausgehen, gar nicht zutraut. Zeichen dafür, daß Andrea Breth neue Ein- und Ansichten zutage fördern will, gerade auch gegen die Seh-Gewohnheiten der eigenen Inszenierungen („Süden“) an der Königsallee: All' die heitere Leichtigkeit, die Gelassenheit, der spielerische Umgang mit Fiktion und Realität steht auf dem Prüfstand.
Christian Redl gibt Olivias Onkel Sir Toby Rülp als verliebtes Gespenst, das mindestens so dick aufträgt wie der Maskenbildner Baldo Pazzaglia für ihn in den Schminktopf gegriffen hat. Schon zu Beginn wird klar, daß Andrea Breth nicht der Sinn nach „romantischer Komödie“ steht. Weshalb sie den Rüpelszenen mit Redl („Toby or not Toby“) und Rolf Schult als Sir Andrew Bleichenwang („On the rivers of Babylon“) konsequent alles Komödiantische ausgetrieben hat.
Wolfgang Michael als Herzog Orsino: ein Lockenkopf wie einem Stich Dürers entstiegen, oder auch, um bei einem anderen jüngst wieder sehr erfolgreichen Musical zu bleiben, Jesus Christ Superstar. Doch dieser Orsino ist kein Gott, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit Manierismen, die man nur allzu gut kennt. Ob Wolfgang Michael die Kraft haben wird, aus diesem Rollenklischee auszubrechen?
Vor dem Hintergrund eines kahlen Schlachtfeldes samt Todesengel, das an Bilder vom so blutigen wie sinnlosen Grabenkrieg im Ersten Weltkrieg erinnert, lesen Mitglieder eines snobistischen britischen Clubs Zeitung. Während vom Bühnenhimmel eine aus den Fugen geratene Drehtür samt ausgestopftem Greifvogel schwebt, demaskiert sich Peter Roggisch zum weisen Clown und sprücheklopfenden Narren.
„Sturm“, zweiter Teil. Nun landet Sebastian (der junge Stephan Ullrich darf als große Entdeckung gefeiert werden), Violas Zwillingsbruder. Es geht auf der Zeitachse zurück in die Dreißiger Jahre und räumlich in düstere Katakomben, die Kanalisation vielleicht. Auch Jochen Tovote als Olivias eher tragischer denn komischer Haushofmeister Malvolio ergeht sich in Manierismen, vor allem sprachlichen: Mit seinen Verschleppungen von Wörtern und ganzen Phrasen könnte er es glatt mit Eberhard Esche aufnehmen. Was nicht als Empfehlung gemeint ist.
Zwischendurch schimmert ein wenig die „alte“ Breth der „Riesen vom Berge“ durch, so in der vierten Szene des 2. Aktes, wo Peter Roggisch ein nachdenklich-trauriges Lied („Komm herbei Tod...“) am Bett des Herzogs intoniert.
Fünfte Szene im 2. Akt. Olivias Garten ist zu einem Kinosaal mutiert, in dem Popcorn- und Zigarettenverkäufer ihre Ware feilbieten. Und Wolfgang Feige, im Besetzungszettel als Olivias Bediensteter Fabian ausgewiesen, als waschechter Mafioso in Aktion tritt. Die Brief-Verschwörung mit Maria inszeniert Andrea Breth als Film Noir. Shakespearsche Mythen als Kino-Coup: das Publikum rast, Ovationen auf offener Szene.
Redlich verdiente Pause nach dem 2. Akt für alle Beteiligten beiderseits der Rampe. Andrea Breths anspielungsreiches Bildertheater überfrachtet das Stück und überfordert das Publikum. Und dann das: Ein Bild wie von Topor. Der Bühnenhimmel ist rund ausgeschnitten, über den Rand blickt eine Puppe, den Hut auf dem Kopf, auf diese Welt. Ratlos und jedenfalls stumm.
Auf der Zeitachse retour wieder in die 50er Jahre. Tütchenlampen, Radioschränke und preußisch-schnurgerade gepflanzte Reihen dürren Krauts bilden eine surreale Szenerie in Olivias Garten. In dem sich Antonio und Sebastian, Manfred Böll und Stephan Ullrich, als schwules Paar gerieren. Plauderei in einer US-Bar der unmittelbaren Nachkriegszeit, im Hintergrund ein flammendes Inferno.
Bilder, Bilder, Bilder, den Assoziationsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt: Die Intriganten Wolfgang Feige & Co treten als Marx-Brothers auf, es folgt ein Grunz-Stück unter Schweinen im Trog und darauf eine Rieseneule im Flug. Leider bietet auch die Sprache keinen Halt: Reinhard Palms modernistische Neuübersetzung ist an Schnoddrigkeit kaum zu übertreffen. Zudem hat der Bochumer Dramaturg Szenen hinzuerfunden, die offenbar eine Aktualität vorspiegeln sollen, sich aber in Absurditäten erschöpfen wie dem Vorlesen von Börsenkursen aus der „Financial Times“.
William Shakespeares happy end ist, keine Überraschung, bei Andrea Breth („Ich empfinde Shakespeare zwar als wunderbar, doch nicht als heilig“) gar keines: Aus Olivias Erstaunen wird bei Andrea Clausen blankes Entsetzen.
In Andrea Breths erster Shakespeare-Inszenierung überhaupt werden Gefühle nicht um der Koketterie willen vorgegaukelt, sondern bis zur bitteren Neige durchlebt, bis zur schmerzlichen Erkenntnis, die Schein vom Sein trennt: „Wir träumen von Berlin und Wien, und was wir saufen wird Urin.“ Zumindest für die Regisseurin sind diese Träume rascher wahr geworden als es sich das Bochumer Publikum hat alpträumen können.
Pitt Herrmann
William Shakespeare
Was ihr wollt oder: Zwölfte Nacht (Twelfth night or What you will)
Schauspielhaus Bochum