Monotonie in der City. Der 35jährige Franzose Henri Boulanger (Henning Hartmann) stempelt schon seit 15 Jahren in der Registratur der Londoner Wasserwerke monströse Berge von Papier - seine Arbeitsmoral scheint nicht von dieser Welt. Doch nun wird sein Arbeitgeber privatisiert und er fristlos vor die Tür gesetzt.
Was tun? Daheim in seiner Wohnung in einem anonymen Hochhauskomplex ist es genau so trist wie in seinem nun auch noch joblosen Dasein ohne jeglichen weiblichen oder gar familiären Anhang. Da bleibt dem Trostlosen nur der Selbstmord. Pleiten, Pech und Pannen: Als alle Stricke reißen und auch noch die Gasarbeiter streiken just in dem Moment, als er seinen Kopf in den Herd steckt, sucht der Verzweifelte nach einem allerletzten Mittel.
In der Honululu-Bar wird Henri unter zwielichtigen Russen fündig: Er engagiert, gegen Vorkasse versteht sich, einen Auftragskiller (Cornelius Schwalm). Doch der lässt sich mächtig viel Zeit, sodaß sich der Todgeweihte im Pub gegenüber noch einen letzten Drink genehmigen kann. Und dann das: Nach sechs Whisky im Warwick Castle kehrt das Leben in Henri zurück, ja es kommt in Person des Blumenmädchens Margaret (Maja Beckmann) geradewegs auf ihn zu...
Jorinde Dröse hat in ihrer nach "Nur noch heute", "Endstation Sehnsucht", "Platonow" und "Einer flog über das Kuckucksnest" bereits fünften Bochumer Arbeit, Premiere war am 24. Mai 2008 in den Kammerspielen, aus Aki Kaurismäkis gleichnamigem Filmdrehbuch von 1990 großes (Gefühls-) Kino inszeniert - mit den genuinen Mitteln des Theaters: desillusionierende Verfremdungs- und scherenschnittartige Schatten-Effekte, montierte Stummfilm-Zwischentitel und kinoreife Slapstick-Einlagen, dazu szenisch-choreographische Petitessen am laufenden Band - von einer pantomimischen Metro-Fahrt über ein urkomisches Schreibmaschinen-Ballett bis hin zu wilden Verfolgungsjagden zu ebener Erde und im fünfundzwanzigsten Stock.
Die schier überbordende Phantasie der 32jährigen Regisseurin korrespondiert in idealer Weise mit einer kargen, geradezu minimalistischen Ausstattung (Annette Haunschild/Bettina Schürmann), in der sich Henri mit ein paar Kreidestrichen auf den Brettern die eigene (Bühnen-) Welt erschafft vor der eher zu New York passenden Wolkenkratzer-Kulisse. In dem das stark stilisierte Spiel des kreideweißgesichtigen Ensembles, das immer wieder auch in die Erzähler-Rolle schlüpft, unterstützt oder konterkariert wird durch den Musiker und Geräuschemacher Roderick Vanderstraeten.
"Moderne Zeiten": Wenn Henri Boulanger mit leerem Blick in seiner Welt exakter, stets wiederkehrender und nun, nach seiner so plötzlichen Entlassung, sinnloser Verrichtungen des Alltags steht, gibt Henning Hartmann eine einerseits rastlose, von allen Furien gehetzte Charly Chaplin-, andererseits eine herzzerreißend anrührende Buster Keaton-Figur. Und jedenfalls einen, der nach einhundert phantastischen und zuletzt auch noch hochspannenden Minuten völlig zu Recht die Ovationen des restlos begeisterten Premierenpublikums entgegennimmt.
Wie auch die hinreißende Maja Beckmann in der Rolle der (auch äußerlich ganz) bezaubernden Margaret, einer über die Bühne schwebenden Blumenfee zwischen Holly Golightly in "Breakfast at Tiffany's" und Eliza Doolittle in "My Fair Lady" (einschließlich des wundervollen französischen Akzentes, den Margaret von Henri übernimmt) oder Sascha Nathan, der als Registratur-Abteilungsleiter eine göttliche Loriot-Schnute zieht. Cornelius Schwalm als todkranker Contract-Killer, Claude De Demo, Jörg Kleemann und Alexander Maria Schmidt in zahlreichen markanten Episodenrollen vervollständigen das exzellente siebenköpfige Ensemble.
Pitt Herrmann
Aki Kaurismäki
I Hired a Contract Killer
Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele