Die Graue Eminenz der Großen Fahrstuhlfabrik (GFF) sitzt im Rollstuhl - und in den letzten Zügen. Neffe "Larbo" Lars-Robert (selbstüberheblicher "Silikonisator" in unschuldigem Weiß: Leopold Hornung), Schönheitschirurg und Chef einer "Renaturalisierungsklinik", hält ihm bis zum letzten Atemzug die Hand, derweil sein Bruder Daniel (nett, aber entscheidungsschwach: Oliver Möller), Geschäftsführer der GFF und potentieller Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden, ausgerechnet im Fahrstuhl stecken bleibt und daher zu spät kommt.
Ansonsten hält sich Larbo mehr an Wirtschaftsbilanzen als an den Hypokratischen Eid, weshalb er zum Verkauf des Familienbetriebes rät. Und mit Marjusa Munteanu (knallharte Saniererin hinter blondgelockter Engelsfassade: Evamaria Salcher) insgeheim bereits eine Analystin engagiert hat, die den Deal einfädeln soll. Doch Daniel will die 1635 als Glockengießerei gegründete GFF weiterführen, der Tradition, der Arbeitsplätze - und seiner Gattin wegen.
Franziska (konsterniert bis eifersüchtig: Jele Brückner viel zu brav für den Zickenkrieg) ist Politikerin und macht sich Karriere-Hoffnungen, muß dafür aber gegen ihre Partei-Kollegin Amelie Steinberger bestehen ("Jede Nacht verbrachte ich mit zwei Sportstudenten und kam jede halbe Stunde...": Bochums Neuzugang Evamaria Salcher kann auch giftig und gallig). Ein ebenso aussichtsloses Unterfangen wie Daniels Versuche, sich als neuer Boss zu positionieren - schon gar gegenüber der langjährigen Chefsekretärin Kerzlin (burschikos mit Bürstenschnitt: Maja Beckmann ist kaum wiederzuerkennen), die klare Vorstellungen von einem "Mann im Großformat" artikuliert: Eine Führernatur ist gefragt in diesen unsicheren Zeiten.
Und tatsächlich kommt einer angebraust - ausgerechnet in Franziskas Wintergarten: Jakob (konsequenter Marsch durch die betrieblichen Institutionen: Alexander Maria Schmid als "rabulierender Barbare"), nach eigener Einschätzung indiskret, direkt, aufsässig, anstrengend, anzüglich, immer deplaziert und eine einzige Zumutung. Für Daniel ist dieser so bestimmt auftretende Chaot, der genau weiß, was er will, freilich eine ganz neue und vielleicht sogar therapeutische Erfahrung. Weshalb der "positive Nihilist" Jakob kurzerhand als "Stimmungswart" engagiert und auf die GFF-Belegschaft losgelassen wird, während "MM" und Larbo in Ruhe ihr eigenes Süppchen kochen können...
An dieser Stelle ist "Fahrstuhl zum Bankrott", das neue Stück des in Zürich geborenen Theatermachers Marcel Luxinger, der in der Spielzeit 2009/2010 an der Seite von Nadine Vollmer die TuT-Reihe "re-classified" kuratiert, am Ende des 3. Aktes angekommen und die Zuschauer der Uraufführungs-Inszenierung Bettina Bruiniers, auch einer Bochumer Debütantin, werden am Premierenabend des 10. Juni 2009 in die Pause entlassen.
"Das eigentliche Werk des guten Künstlers besteht in der Nachfrage, die er selber schafft - dem sogenannten Hype": Bis hierhin überzeugt das in Justina Klimczyks dreieinhalbstöckiger Einheitsbühne als überhitzte Farce inszenierte kapitalismuskritische Zeitstück durch furios zugespitzten Wortwitz und grelle Situationskomik auch in seinen kabarettreif-realsatirischen wie aberwitzig-grotesken Momenten. In den beiden geradezu märchenhaften Schlussakten franst es jedoch völlig aus, verliert sich in der Vielzahl von Motiven und Personen - und in einem gerade in Dauer-Wahlkampfzeiten nicht mehr erträglichen Wortmüll.
"Ein nicht leicht nachvollziehbarer Eingriff ins Raum-Zeit-Kontinuum", so ein selbstironischer Autor Marcel Luxinger in seinem Nebentext, führt "MM" und Daniel nach Pousaspol, der Hauptstadt Transliriens. Wo ein Fürst Valery Kroytor und ein Partisanenführer Colonel Witold Blaich, ein Sekretär Prozy (herzerfrischend-schrille Miniatur: Leopold Hornung) und eine CIA-Instruktorin Darlene Peppy ihr Unwesen treiben - und der GFF-Geschäftsführer von einer kafkaesken Situation in die andere stolpert. Bevor er von einem Bilderbuch-deus ex machina im Heißluftballon gerettet wird - und der "schmerzhafte Seifenoperncharakter" (Luxinger über Luxinger offenbar nach "dem einen oder anderen Leckerbissen" aus Larbos Arzneikästchen) nicht mehr aufzuhalten ist.
Pitt Herrmann
Marcel Luxinger
Fahrstuhl zum Bankrott
Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele