"Selten so gelacht" lautet die Schlagzeile im "goldenen Himmelsbuch", das Goethes Gretchen aufmerksam durchblättert. Doch ach, auf dem Tisch vor ihr steht ein sehr heutiges Szenegetränk, das verspricht, seinem Konsumenten Flügel zu verleihen - auch so ein Weaner Schmäh, von dem später im Verlauf des grandiosen 80minütigen Abends, den Hans Dreher im Bochumer Theater unter Tage eingerichtet hat, noch mehr zu hören sein wird.
So ist es auch "Theater heute", dem die übrigens aus Herne stammende Schauspielerin Maja Beckmann ihre ganze Aufmerksamkeit widmet. Schließlich sind alle hinter lobenden Kritikerworten her wie der verschlagene Mephisto hinter dem armen Faust, von der naiven, übereifrigen Elevin über die Ensemble-Zicke, die anderen den Erfolg neidet, bis hin zur eitlen, sich selbst hoffnungslos überschätzenden Diva.
Und in all' diese Rollen - plus einer Dramaturgin, die mit vollem Ernst die absurdesten Ideen zum Stück entwickelt - schlüpft Maja Beckmann in Lutz Hübners "Gretchen 89ff", dessen Titel die Seitenzahl der "Faust I"-Ausgabe des Reclam-Verlages bezeichnet, in der die berühmte "Kästchen"-Szene beginnt. Und die stellt der weitgehend unbekannte und dabei bundesweit erfolgreichste zeitgenössische Dramatiker, der 1964 in Heilbronn geborene Berliner Lutz Hübner, in den Mittelpunkt seines Theaterkabaretts.
In dem der großartige Sascha Nathan den männlichen Part des Hospitanten, Regisseurs und Dramaturgen übernimmt: vom Altgedienten, der nur noch in der Vergangenheit lebt, aber prächtige Anekdoten zum besten gibt, über den Freudianer, der in jedem Satz eines Autors eine sexuelle Anspielung wittert, und den "Streicher", der bis zuletzt im Text herumfuhrwerkt und damit die Schauspieler in den Wahnsinn treibt, bis hin zum unerfahrenen Neuling, der alles anders und jedenfalls moderner inszenieren will, um dann letztlich doch alles abzunicken, was ihm die Diva ins Regiebuch diktiert.
Dieser Backstage-Welt der Verliebten und Verrückten hat Julia Ströder dolle Theater-Kulissen gebaut, während Matthias Fleskes nicht nur für bewegt-bewegende Bilder historischer "Faust"-Inszenierungen gesorgt hat, sondern auch für die Videoschnipsel-Unterlegung der von Henning Hartmann gesprochenen urkomischen Zwischentexte Lutz Hübners.
Von der Rampensau zum Rampentoni: Die "Aboschweine", unter ihnen am heftig umjubelten Premierenabend des 31. März 2007 zahlreiche Dozenten der Westfälischen Schauspielschule Bochum, amüsierten sich bei dieser launigen Abrechnung mit den Regietheater-Fürsten von Frank Castorf bis Claus Peymann wie Bolle.
Pitt Herrmann
Lutz Hübner
Gretchen 89ff
Schauspielhaus Bochum, Theater unter Tage