Worte können die Welt verändern. Genau das ist 1940 durch Winston Churchill geschehen. Er stand unter immensem politischen und persönlichem Druck, und dennoch schwang er sich in so wenigen Tagen zu solchen Höhen auf, wieder und wieder.
Anthony McCarten, Drehbuchautor und Produzent
Schwarz-weiße Bilder wohl aus deutschen Ufa-Wochenschaufilmen malen ein düsteres Bild von der Stärke der unter Adolf Hitler systematisch aufgerüsteten Wehrmacht. Am 9. Mai 1940 kommt das britische Parlament nicht umhin, die Appeasement-Politik Neville Chamberlains (Ronald Pickup) als gescheitert anzusehen, nachdem das Deutsche Reich seine östlichen Nachbarstaaten überfallen hat und gewaltige Truppenaufmärsche an den Grenzen zu Belgien und Frankreich davon zeugen, dass das "Tausendjährige Reich" mittels eines Zwei-Fronten-Kriegs zusammen mit den italienischen und spanischen Verbündeten die Hegemonie über Kontinentaleuropa durch Waffengewalt erzwingen will.
Es gilt nun, ein neues Kriegskabinett aus konservativer Regierung und sozialistischer Opposition zu bilden, um alle Kräfte Britanniens zu bündeln. Doch wer soll Nachfolger des von seinem Krebsleiden gezeichneten Chamberlain als Premierminister werden? Die Konservativen und König George VI. (Ben Mendelsohn) bevorzugen Viscount Halifax (Szephen Dillane), doch der dürfte von der Opposition nicht mitgetragen werden. Die hat signalisiert, sich nur mit ins Boot einer nationalen Einheitsregierung ziehen zu lassen, wenn die Wahl auf Winston Churchill (Gary Oldman) fällt - trotz seiner verlustreichen Niederlage als Erster Lord der Admiralität in der Schlacht von Gallipoli am Bosporus im Ersten Weltkrieg.
König George VI. ist not amused, als er den notorischen Trinker, der das erste Glas Hochprozentiges bereits zum Frühstück zu sich nimmt, im Buckingham Palace mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Gattin "Clemmie" Clementine (Kristin Scott Thomas) beschwört den exzentrischen Winston, künftig freundlicher zu den Mitmenschen zu sein, wenn er in Downing Street einzieht. Damit könne er im übrigen gleich anfangen - bei seiner neuen, sehr jungen und sehr ängstlichen Sekretärin Miss Elizabeth Layton (Lily James).
13. Mai 1940. Churchill hält seine erste Rede als Premierminister im Palace of Westminster. Die Skepsis aller Abgeordneten, besonders aber die der eigenen konservativen Partei, ist mit den Händen zu greifen. Zumal Churchills Vorgänger Chamberlain keinen Finger rührt, um sein weißes Taschentuch aus der Brusttasche zu ziehen - als Zeichen für die Fraktionsmitglieder, dem Redner zu applaudieren.
Aber einer wie Churchill lässt sich durch solche Störmanöver aus den eigenen Reihen nicht aus der Fassung bringen. Er weiß um seine Schwächen, womit nicht nur der ungebremste Alkohol- und Zigarrenkonsum gemeint ist. Und wandelt sie in Stärke um, indem er mit seinen Aufgaben wächst. Und die sind enorm.
19. Mai 1940. Während Chamberlain und Halifax beständig gegen ihn intrigieren, ja an seinem Stuhl sägen, hält Churchill eine erste Rundfunkansprache, in der er der Bevölkerung Mut zuspricht in wahrhaft dunkler Zeit: Die zur Unterstützung der Franzosen über den Kanal entsandten englischen Truppen sind in der Normandie von deutschen Soldaten eingekesselt - ein kleineres Kontingent in Calais, rund 400.000 Mann in Dünkirchen. Ihre Lage ist aussichtslos, nachdem die Deutschen auch den Luftraum beherrschen.
Und keine Hilfe in Sicht. Die Amerikaner ziehen sich auf ihre Neutralität zurück und weigern sich sogar, den Briten längst bezahlte Kampfflugzeuge zu überstellen. Ein nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Telefonat mit Churchill: Die Engländer könnten die Maschinen ja mit Pferdegespannen auf kanadisches Terrain ziehen und sie dann selbst irgendwie über den Großen Teich auf die Insel holen...
27. Mai 1940. Belgien hat kapituliert und Frankreich steht offenbar kurz davor. Die Lage der britischen Armee in Nordfrankreich erscheint hoffnungslos. Chamberlain und Halifax schlagen daher vor, über den italienischen Botschafter in London Geheimverhandlungen mit Mussolini und Hitler über einen Waffenstillstand und den geordneten Rückzug der englischen Soldaten zu beginnen. Gleichzeitig wird dem König angetragen, samt Familie ins sichere kanadische Exil zu gehen. Churchill ist im Kriegskabinett völlig isoliert. Er hat selbst große Angst, auch vor der eigenen Courage, will aber kämpfen. Und weiß überraschend den König auf seiner Seite, der in der Heimat bleiben will und zu nächtlicher Stunde den Premier in seiner Privatwohnung aufsucht, ihn geradezu aus dem Bett holt: "Besiegen Sie die Mistkerke!" Der Rat des Monarchen: Churchill solle dem Volk unverblümt die Wahrheit sagen, es auf das Schlimmste vorbereiten.
Während Tausende britischer Soldaten in der Festung Calais sterben, indem sie förmlich bis zur letzten Patrone die deutsche Armee von Dünkirchen fernzuhalten versuchen, nachgestellt im Fort Amherst bei Chatham und eindrucksvoll festgehalten vom französischen Kameramann Bruno Delbounel, beginnt unter dem Schutz einer dichten Nebeldecke die "Operation Dynamo": die größte private Flotte aller Zeiten holt Hunderttausende aus Dünkirchen zurück in die Heimat. Und Churchill fährt mit der U-Bahn ins Parlament, um die Stimmung der Bevölkerung kennenzulernen. Diese deckt sich ganz mit seiner eigenen Auffassung: England ist bereit, zur Befreiung Europas von den deutschen Barbaren einen hohen Blutzoll zu bezahlen...
"Darkest Hour" ist ein maßvoll opulent ausgestatteter, mit 125 Minuten etwas zu langer Historienfilm, der die gerade im Actionstreifen "Dunkirk" minutiös geschilderten Ereignisse aus der Perspektive der politisch Verantwortlichen zeigt und um die aus britischer Sicht durchaus brisante Appeasement-Vorgeschichte erweitert. Joe Wrights Film, dessen Grundlage drei Reden sind, die Churchill im Mai und Juni 1940 schrieb und hielt, bereichert damit die in ganz Europa längst noch nicht beendete Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs um eine gerade in unseren nationalistisch geprägten Zeiten wichtige demokratiepolitische Facette: nicht ein strahlender, omnipotenter (Kriegs-) Held hat einen Deal mit Hitler verhindert und die Voraussetzung geschaffen, dass England auf der richtigen Seite der Alliierten kämpft gegen die bis nach Japan reichende faschistische "Achse", sondern ein höchst unsicherer Kantonist - politisch, militärisch und menschlich.
Der Regisseur Joe Wright zeigt Geschichte immer wieder aus der Dienstbotenperspektive: Gespräche auf der Besuchertribüne des Unterhauses, unter Schreibkräften im Regierungsbunker, unter Menschen in der U-Bahn. Sie sind zu großen persönlichen Opfern bereit, um in Kontinentaleuropa wieder dem Recht und anderen demokratischen Prinzipien zum Sieg zu verhelfen. "Darkest Hour" kommt für das verheerende Brexit-Votum der Briten leider zu spät, könnte aber das Gespür dafür verstärken, dass man nationalistischen Populisten wie Trump in den USA nicht auf den Leim gehen darf. So könnte der Film auch für Deutschland einen wichtigen Beitrag leisten. Universal bringt "Die dunkelste Stunde" am 18. Januar 2018 bundesweit in die Kinos.
Pitt Herrmann
Anthony McCarten (Buch), Joe Wright (Regie)
Die dunkelste Stunde (Darkest Hour)
Focus Features, Perfect World Pictures, Working Title, Tim Bevan, Eric Fellner, Lisa Bruce, Anthony McCarten und Douglas Urbanski Prod. - Großbritannien 2017