Er ist so links, wie man als Polizist links sein kann. Aber Falke ist kein Intellektueller, er steht mehr auf der Seite der Arbeiter. Ich sehe ihn gewissermaßen als Sprachrohr des kleinen Mannes. In der ersten Folge ist er noch mit Leuten aus der Antifa befreundet. Heute ist er eher belustigt, wenn er quer durch einen Demonstrationszug marschiert. Falke steckt wie viele Beamte in einem Dilemma: Er versteht sehr gut, warum die Leute auf die Straße gehen, aber gewaltsamen Protest kann er nicht akzeptieren.
Wotan Wilke Möhring über seine Rolle als Thorsten Falke in "Dunkle Zeit"
Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), Julia Grosz (Franziska Weisz) und ihre Kollegen von der in Hannover stationierten Bundespolizei schauen sich ein im Netz kursierendes Video an, auf dem die Spitzenpolitikerin der Partei "Die neuen Patrioten", Nina Schramm (Anja Kling), und ihr Gatte, der ehemalige Bundeswehr-Generalmajor Richard Schramm (Udo Schenk), bedroht werden.
Hierbei scheint es sich nicht nur um die einschlägigen Hasstiraden von politischen Gegnern der neuen, erfolgreichen rechtspopulistischen Partei zu handeln. Was der "linke Mob", so Parteisprecher Benjamin Reinders (Ben Braun) sogleich, propagiere, sei nichts anderes als ein Mordaufruf. Was Falkes Vorgesetzte nicht anders sehen, weshalb sie ihn und seine Kollegin Grosz zum persönlichen Schutz der Politikerin abstellen.
Falke, von diesem Auftrag auch aus ganz persönlichen Gründen alles andere als erbaut, schlägt sein Herz doch seit frühester Jugend eindeutig links, geht nicht nur dem Verdacht nach, Autonome aus Hamburg könnten hinter dem Video stecken, dass offensichtlich in unmittelbarer Nähe - und sogar in Schussweite - zum einsam gelegenen ländlichen Anwesen der Schramms gedreht worden ist.
Sondern er ermittelt auch im Umfeld der Rechtspopulisten, die den Mordaufruf publizistisch für sich ausschlachten, um im Wahlkampf als Verfolgte zu punkten. Dabei mehren sich die Indizien, dass Nina Schramms Gegner aus den eigenen Reihen kommen. Zum einen ist bei den "Neuen Patrioten" ein interner Machtkampf ausgebrochen zwischen dem Europapolitiker Gerhard Schneider (Patrick von Blume), einem Lüneburger Wirtschaftsprofessor und erfahrenen Parlamentarier, und dem jungen, ungestüm mit den Hufen scharrenden und deutlich radikaleren Nachwuchs.
Zu dem vor allem Benjamin Reinders zählt, der - zum anderen - offenbar schon seit längerem ein Verhältnis mit der attraktiven Frontfrau der Partei unterhält, deren Ehe nur noch auf dem Papier besteht. Richard will alle seine Ämter in Politik und Partei niederlegen und Gattin Nina auffliegen lassen. Dabei geht er selbst hoch - durch eine Autobombe. Oder sollte diese vor allem Nina Schramm treffen, die nach einer Wahlveranstaltung in Uelzen kurzentschlossen einen weiteren auswärtigen Vortragstermin angenommen hat und zu Reinders in den Wagen gestiegen ist?
Nun müssen die beiden Bundespolizisten ihren Auftrag ernster nehmen - und werden gewahr, dass der Staatsschutz in Person des wie im realen BND-Leben fahrlässig verschwiegenen Rutemöller (Nils Dörgeloh) seine Finger im Spiel hat. Die medienwirksame Kampagne der Rechtspopulisten um den "Stolz und Vorurteil"-Produzenten Peter Roman (Wilfried Hochholdinger) läuft derweil auf Hochtouren und setzt die Beamten zusätzlich unter Druck. Während Julia Grosz sich fragt, ob die eloquente Nina Schramm nicht doch zu Recht den Finger in viele Wunden legt, die auch sie als Polizistin betreffen, nennt Falke sie "Eva Braun" und den mit ihr liierten Reinders abschätzig einen "Westentaschen-Goebbels".
Doch dann kommt er einem Aktivisten-Paar auf die Spur, dass sich auf einer Antifa-Demonstration kennengelernt hat: der 21-jährige Vincent Mark (Jordan Dwyer), ein eher harmlos-naiver Linker, lässt sich von der um einiges älteren, attraktiven Paula Naumann (Sophie Pfennigstorf) zu einem Anschlag auf Professor Schneider verführen...
In dieser "Tatort"-Folge kommen sich Falke und Julia Grosz menschlich näher. Nur was die Politik betrifft, scheinen sie noch weit auseinander zu liegen. Jedenfalls macht auch ihn die persönliche Begegnung mit der verhassten Politikerin nachdenklich. Was er sich in der sehr emotional geführten Diskussion mit seinem Sohn Torben (Levin Liam) freilich nicht anmerken lässt, in der er den Alt-Linken herauskehrt. Auf einer Autofähre kommt es zum großen Showdown...
Der in Essen geborene Niki Stein (Buch und Regie) hat aus dem packenden Stoff mit tollen Schauspielern einen wendungsreichen und am Ende recht provokanten Politthriller gedreht. Der nach der Erstausstrahlung am 17. Dezember 2017 zu heftiger Schelte aus der Parteizentrale der "Alternative für Deutschland" führte, als habe dieser "Tatort" in ein Wespennest gestoßen. Kann ich so nicht nachvollziehen: die Auflösung, in der die Jugendorganisation der "Neuen Patrioten" und ihre Verbindung zur osteuropäischen Mafia eine Rolle spielt, erscheint arg konstruiert, wenn auch nicht völlig aus der final noch recht bleihaltigen Luft gegriffen.
Anja Kling ist in ihrer Rolle als Rechtspopulistin weder die Kopie einer Frauke Petry noch gar deren AfD-Nachfolgerin Alice Weidel. Und schon gar keine Karikatur: Ihre Nina Schramm ist nicht nur ein zu allen taktischen Spielen bereiter eiskalter Politprofi, sondern empathiefähig. Sie verkörpert Menschlichkeit und Glaubwürdigkeit: eine solche Gallionsfigur hätte die AfD gerne.
Pitt Herrmann
Niki Stein (Buch und Regie)
Tatort - Dunkle Zeit
Cinecentrum Hannover, Holger Heinßen Prod. c/o Norddeutscher Rundfunk - Deutschland 2017